Mord auf Bali: Ein Urlaubs-Krimi (German Edition)
bitten zu müssen. Nach dem Anschnallen erhaschte er, vorbei an seinem korpulenten Nachbarn, einen letzten Blick aus dem Fenster auf den Frankfurter Flughafen, dann setzte sich die Maschine in Bewegung.
Endlich geht’s los, dachte er. Kurze Zeit später befand sich der Flieger in 11.000 Metern Höhe.
Monate voll anstrengender Ermittlungsarbeit lagen hinter ihm: die Aufklärung eines Serienmordes, Ärger mit den Kollegen und feingesponnene Intrigen. Neben dem beruflichen Stress lief auch sein Privatleben nicht wunschgemäß. Seine Seele war angeknackst und er brauchte etwas Abstand von Lena. Seit Jahren genoss er jede einzelne Sekunde mit ihr, doch in letzter Zeit nagte wieder der Zweifel an ihm, ob sie jemals ihren Mann verlassen würde? Lena war noch verheiratet. Noch? Redete er sich bloß ein, dass sie ihren Mann für ihn verlassen würde? Zurzeit jedenfalls konnte oder wollte sie sich nicht entscheiden, obwohl Rauscher sie seit drei Jahren bedrängte, ihn zu heiraten. Aber an eine Scheidung war im Moment nicht zu denken, aus Rücksicht auf ihren Sohn Julian, wie sie sagte.
Immer wenn Rauscher darüber nachdachte, fragte er sich automatisch, wie lange er diesen Spagat wohl noch ertragen würde. Verbrechen, Hektik, Kommissariat auf der einen Seite, Zweisamkeit, Einsamkeit und Tristesse in seiner Bockenheimer Altbauwohnung auf der anderen. Zum Glück gab es noch andere Seiten.
In ein paar Stunden würde er am azurblauen Meer liegen, unter Palmen einen Cocktail nach dem anderen trinken und sich maximal entspannen. Rauscher konnte es kaum erwarten. Nichtstun. Faulenzen. Erholen. Das war seine Devise für diesen Urlaub. Die Frau im Reisbüro hatte ihm von den freundlichen und angenehmen Menschen, von den Reisfeldern und den Stränden auf Bali vorgeschwärmt. Aber er wollte sich selbst ein Bild machen. Er war gespannt und freute sich auf zwei kostbare Wochen.
Damit er nicht ganz verloren dastand, holte er den Bali-Reiseführer hervor, den er extra besorgt hatte, und las einige Passagen. Immer wieder stieß er auf fremd anmutende Sätze: „Nach hinduistischem Glauben ist der Körper eines Menschen lediglich Hülle, Hülle der Seele. Wenn jemand stirbt, wird die Seele freigelassen, der Körper löst sich auf und tritt in die Welt der Götter ein“.
Rauscher versuchte sich den Satz einzuprägen. Eine blonde Frau mittleren Alters lief im Gang vorbei und sprach ihn an:
„Sie wollen auch nach Bali?“
„Ja, soll sehr schön sein.“
„Traumhaft, sag ich ihnen. Ich war schon fünf Mal da.“
„Ich bin gespannt.“
„Vielleicht laufen wir uns ja mal über den Weg. Bis bald.“ Sie nickte und ging weiter. Dann las er wieder im Reiseführer und stieß auf einen Satz, den er amüsant fand:
„‚Kleinen Tod' nennen die Balinesen den Übergang von einem zum nächsten Lebensabschnitt. ‚Kleine Wiedergeburt' heißt der Beginn des neuen Lebens“.
Er glaubte, sich an ähnliche Sätze erinnern zu können, früher, als sie im Religionsunterricht das Thema Hinduismus durchgenommen hatten.
Dann stieß er wieder auf einen Satz, der seine Aufmerksamkeit weckte: „Das Denken der Balinesen wird geprägt von Samsara, dem unaufhörlichen Kreislauf von Geburt, Tod und Wiedergeburt der Seele. Zu Lebzeiten sind die Balinesen fröhlich und unbeschwert, denn sie erwarten eine noch glücklichere Zeit nach dem Tode – im Jenseits. Das oberste Ziel eines jeden Hindu ist es, ins Nirwana einzugehen und nicht mehr wiedergeboren werden zu müssen.“
Er hatte für den Moment genug von Tod, Wiedergeburt und Göttern, legte den Reiseführer beiseite und die Müdigkeit übermannte ihn. Von den anschließenden zehn Stunden bis Hongkong bekam er so gut wie nichts mit.
Sowohl Abendessen als auch Frühstück verpasste er. Sein Schlaf war tief und durchdrungen von wirren Träumen aus der jüngeren Vergangenheit: Bilder einer nackten Frauenleiche im Bahnhofsviertel, der ein ganzer Arm abgerissen war; eine wilde Jagd im Polizeiwagen nach einem Profikiller quer durch Frankfurt, die unsanft an einem Laternenpfahl endete.
Als die Maschine im Landeanflug auf Hongkong war, kam er wieder zu sich, reckte und streckte sich und spürte, dass er Hunger hatte. Er rieb sich die Augen, strich die zerstruppelten schwarzen Haare glatt, schüttelte den Kopf und sagte zu sich selbst:
„Andreas, Andreas, das geht so nicht weiter. Du musst unbedingt abschalten.“
Die lächelnde, asiatische Stewardess brachte ihm schnell noch ein Bier. Ihr federnder und
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