Mord auf dem Golfplatz
sicher – sie haben das Haus nicht durch die Tür verlassen. Sondern durch das Fenster.«
»Was?«
»Genau.«
»Aber im Blumenbeet unter dem Fenster waren keine Fußspuren.«
»Nein – und es hätte welche geben müssen. Hören Sie zu, Hastings. Der Gärtner, Auguste, das haben Sie selber gehört, hat am vorangegangenen Nachmittag beide Beete bepflanzt. Im einen Beet wimmelt es nur so von Abdrücken seiner schweren, genagelten Stiefel – im anderen sind keine. Verstehen Sie? Jemand ist dort vorbeigegangen, jemand, der, um die Fußspuren zu entfernen, die Oberfläche des Beetes mit einer Harke geglättet hat.«
»Woher stammte diese Harke?«
»Von dort, wo auch Spaten und Gartenhandschuhe herstammten«, sagte Poirot ungeduldig. »Das ist doch nicht weiter schwer.«
»Aber warum glauben Sie, dass sie durchs Fenster geklettert sind? Wäre es nicht wahrscheinlicher, dass sie durchs Fenster ins Haus eingedrungen sind und es dann durch die Tür verlassen haben?«
»Natürlich ist das möglich. Aber ich vermute doch, dass sie durchs Fenster verschwunden sind.«
»Ich glaube, Sie irren sich.«
»Vielleicht, mon ami.«
Ich grübelte über die neuen Aspekte, die Poirots Schlussfolgerungen mir eröffnet hatten. Mir fiel ein, wie ich mich über seine kryptischen Anspielungen über Armbanduhr und Blumenbeet gewundert hatte. Seine Bemerkungen waren mir sinnlos vorgekommen, und erst jetzt ging mir auf, auf welch bemerkenswerte Weise er anhand weniger, schwacher Indizien einen Großteil der mit diesem Fall verbundenen Mysterien gelöst hatte. Ich musste meinem Freund verspätete Hochachtung zollen.
»Aber«, sagte ich nach einer Weile nachdenklich, »obwohl wir jetzt sehr viel mehr wissen, sind wir der Erkenntnis, wer Mr Renauld denn nun umgebracht hat, noch keinen Schritt näher gekommen.«
»Nein«, erwiderte Poirot fröhlich. »Von dieser Erkenntnis haben wir uns sogar um einiges entfernt.«
Und diese Tatsache schien ihn derart mit Befriedigung zu erfüllen, dass ich ihn überrascht anstarrte. Er fing meinen Blick auf und lächelte.
Plötzlich ging mir ein Licht auf.
»Poirot! Mrs Renauld! Jetzt verstehe ich. Offenbar deckt sie jemanden!«
Das Schweigen, mit dem Poirot meinen Ausruf quittierte, sagte mir, dass er auf diese Idee auch schon gekommen war.
»Ja«, sagte er nachdenklich. »Sie deckt jemanden – oder sie schützt ihn. Eins von beidem.«
Und dann, als wir das Hotel betraten, gemahnte er mich mit einer Handbewegung zu schweigen.
Dreizehntes Kapitel
Das Mädchen mit den ängstlichen Augen
W ir aßen mit ausgezeichnetem Appetit. Eine Weile schwiegen wir, dann bemerkte Poirot voller Bosheit: »Eh bien! Und was ist mit Ihrem groben Fehler? Wollten Sie mir nicht darüber berichten?«
Ich spürte, dass ich rot anlief. »Ach, Sie meinen heute Morgen?« Es gelang mir, mich reichlich lässig anzuhören.
Aber Poirot war ich nicht gewachsen. Innerhalb sehr weniger Minuten hatte er mir die ganze Geschichte entlockt, und während er das tat, funkelten seine Augen nur so.
»Tiens! Was für eine romantische Geschichte. Wie heißt sie denn, diese charmante junge Dame?«
Ich musste zugeben, dass ich das nicht wusste.
»Noch romantischer. Das erste rencontre im Zug von Paris, das zweite hier. Reisen führen zum Rendezvous, gibt es nicht so ein Sprichwort?«
»Seien Sie kein Esel, Poirot!«
»Gestern war es Mademoiselle Daubreuil, heute ist es Mademoiselle – Cinderella. Sie haben das Herz eines Türken, Hastings. Sie sollten sich einen Harem zulegen!«
»Machen Sie sich nur lustig über mich. Mademoiselle Daubreuil ist eine schöne junge Frau, die ich sehr bewundere das gebe ich gern zu. Die andere ist nichts – ich glaube nicht, dass ich sie jemals wieder sehen werde.«
»Sie wollen die Dame nicht wieder sehen?«
Diese Bemerkung klang wie eine Frage, und ich registrierte den scharfen Blick, mit dem er mich dabei bedachte. Vor meinen Augen erschienen in riesiger Flammenschrift die Worte Hôtel du Phare, wieder hörte ich ihre Stimme: »Schauen Sie doch herein«, und hörte mich selber voller empressement antworten: »Das mache ich.«
Einigermaßen gelassen erklärte ich: »Sie hat mich aufgefordert, bei ihr vorbeizuschauen, aber das werde ich natürlich nicht tun.«
»Wieso ›natürlich‹?«
»Na ja, ich will nicht.«
»Mademoiselle Cinderella wohnt im Hôtel d’Angleterre, haben Sie gesagt, oder?«
»Nein, im Hôtel du Phare.«
Für einen Moment kamen mir Zweifel. Ich hatte doch Poirot
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