Mord auf dem Golfplatz
Glaubte er vielleicht, ich brauchte ein Kindermädchen?
Ich bedankte mich bei dem Mann und ging, ziemlich verwirrt und noch immer sehr wütend auf meinen aufdringlichen Freund.
Doch wo steckte die Dame? Ich schob meinen Zorn beiseite und versuchte, dieses Rätsel zu lösen. Offenbar hatte sie aus Versehen das falsche Hotel genannt. Aber dann kam mir ein anderer Gedanke. War das wirklich ein Versehen? Oder hatte sie ganz bewusst ihren Namen verschwiegen und eine falsche Adresse angegeben?
Je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer wurde ich mir, dass letztere Annahme zutraf. Aus irgendeinem Grund wollte sie unsere Bekanntschaft nicht zur Freundschaft reifen lassen. Und ich – auch wenn ich mir das noch vor einer halben Stunde selber eingeredet hatte – wollte mir nicht einfach das Spiel aus der Hand nehmen lassen. Ich fand die ganze Geschichte ausgesprochen unbefriedigend und kehrte in reichlich schlechter Laune zur Villa Geneviève zurück. Ich ging nicht ins Haus, sondern folgte dem Gartenweg zu der kleinen Bank neben dem Schuppen. Dort setzte ich mich und war weiterhin missgelaunt.
Stimmen aus nächster Nähe rissen mich aus meinen Gedanken. Gleich darauf erkannte ich, dass sie aus dem Nachbargarten kamen, dem der Villa Marguerite, und dass sie sich in ziemlichem Tempo näherten. Eine Mädchenstimme führte das Wort, eine Stimme, die ich als die der schönen Marthe erkannte.
»Chéri«, sagte sie. »Stimmt das wirklich? Haben unsere Sorgen nun ein Ende?«
»Das weißt du doch, Marthe«, erwiderte Jack Renauld. »Nichts kann uns jetzt noch trennen, Liebste. Das letzte Hindernis auf dem Weg zu unserer Vereinigung ist beseitigt. Nichts kann dich mir mehr wegnehmen.«
»Nichts?«, murmelte das Mädchen. »O Jack, Jack – ich habe Angst.«
Ich wollte mich zurückziehen, schließlich spielte ich hier ganz unbeabsichtigt den Lauscher an der Wand. Als ich aufstand, sah ich die beiden durch das Loch in der Hecke. Sie standen nebeneinander, die Gesichter mir zugewandt, er hatte den Arm um sie gelegt und blickte ihr in die Augen. Sie waren ein großartig aussehendes Paar, der dunkle, gut gebaute Junge und die blonde Göttin. Sie schienen füreinander geschaffen zu sein, wie sie so vor mir standen, glücklich, trotz der schrecklichen Tragödie, die ihr junges Leben überschattete.
Doch das Mädchen machte ein besorgtes Gesicht, und das schien auch Jack Renauld aufzufallen, denn er zog sie enger an sich und fragte: »Aber wovor hast du Angst, Liebes? Was gibt es jetzt noch zu befürchten?«
Und dann sah ich den Ausdruck in ihren Augen, den Ausdruck, den Poirot erwähnt hatte, und sie murmelte so leise, dass ich ihre Worte fast erraten musste: »Ich habe Angst – um dich.«
Die Antwort des jungen Renauld hörte ich nicht, denn eine ungewöhnliche Erscheinung ein Stück weiter hinten an der Hecke zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Dort schien ein brauner Busch zu stehen, und das kam mir so früh im Sommer ausgesprochen seltsam vor. Ich ging hin, um mir die Sache genauer anzuschauen, doch als ich näher kam, wich der braune Busch eilig zurück, legte den Finger an die Lippen und schaute mich an. Es war Giraud.
Er bedeutete mir, ich solle vorsichtig sein, und führte mich um den Schuppen herum, bis wir außer Hörweite waren.
»Was haben Sie denn hier gemacht?«, fragte ich.
»Dasselbe wie Sie – gehorcht.«
»Aber ich war nicht zu diesem Zweck hergekommen.«
»Ach!«, sagte Giraud. »Ich wohl.«
Wie immer musste ich den Mann bewundern, obwohl ich ihn nicht leiden konnte. Er maß mich mit einer Art verächtlicher Missbilligung.
»Und dass Sie hier hereingeplatzt sind, hat die Sache nicht besser gemacht. Vielleicht hätte ich in der nächsten Minute etwas Brauchbares gehört. Wo haben Sie Ihr Fossil gelassen?«
»Monsieur Poirot ist nach Paris gefahren«, erwiderte ich kalt.
Giraud schnippte voller Verachtung mit den Fingern. »Nach Paris ist er gefahren, ja? Na, wie gut. Je länger er dort bleibt, desto besser. Aber was glaubt er, was er dort finden wird?«
»Das darf ich nicht verraten«, sagte ich ruhig.
Giraud starrte mich durchdringend an.
»Vermutlich ist er gescheit genug, es Ihnen gar nicht zu sagen«, bemerkte er grob. »Einen schönen Nachmittag noch, ich habe zu tun.« Und damit machte er auf dem Absatz kehrt und ließ mich stehen.
In der Villa Geneviève schien es nicht weiterzugehen. Giraud hatte offenbar keine Sehnsucht nach meiner Gesellschaft, und nach allem, was ich gesehen
Weitere Kostenlose Bücher