Mord auf dem Golfplatz
seinem Tod hergeschleppt worden. Halb geschleppt und halb getragen. Auf dem harten Boden draußen sind die Spuren nicht zu sehen, und hier drinnen waren sie umsichtig genug, sie zu verwischen, aber eine der beiden Personen war eine Frau, mein junger Freund.«
»Eine Frau?«
»Ja.«
»Aber wenn die Spuren verwischt sind, woher wollen Sie das dann wissen?«
»Weil der Abdruck des Frauenschuhs noch immer unverkennbar ist. Und deshalb.« Er beugte sich vor, zog etwas vom Messergriff und hielt es mir hin. Es war ein langes, schwarzes Frauenhaar, ähnlich dem, das Poirot in der Bibliothek auf dem Sessel gefunden hatte.
Mit einem leicht ironischen Lächeln wickelte Giraud das Haar wieder um das Messer.
»Wir wollen so weit wie möglich alles unverändert lassen«, erklärte er. »Dann freut sich der Untersuchungsrichter. Fällt Ihnen sonst noch etwas auf?«
Ich musste den Kopf schütteln.
»Sehen Sie sich seine Hände an.«
Das tat ich. Die Fingernägel waren rissig und verfärbt, die Haut war hart. Leider sagte mir das nicht so viel, wie mir lieb gewesen wäre. Ich blickte zu Giraud auf.
»Es sind nicht die Hände eines Gentleman«, sagte er. »Andererseits ist er angezogen wie ein Wohlhabender. Das ist seltsam, nicht wahr?«
»Sehr seltsam«, stimmte ich zu.
»Und keins seiner Kleidungsstücke trägt ein Schneideretikett. Was sagt uns das? Dieser Mann wollte sich als jemand ausgeben, der er nicht war. Er hat eine Maskerade aufgeführt. Warum? Hatte er vor irgendetwas Angst? Wollte er im Schutz dieser Verkleidung fliehen? Das alles wissen wir noch nicht, aber eins wissen wir immerhin – er wollte seine Identität so dringend verbergen, wie wir sie aufdecken möchten.«
Er starrte auf den Leichnam hinunter.
»Und wieder weist das Messer keinerlei Fingerabdrücke auf. Wieder hat der Mörder Handschuhe getragen.«
»Sie glauben, dass es derselbe Mörder ist?«, fragte ich aufgeregt.
Giraud ließ sich nicht in die Karten schauen.
»Was ich glaube, spielt keine Rolle. Wir werden sehen. Marchaud!«
Der sergent de ville trat in die Tür.
»Monsieur?«
»Warum ist Madame Renauld nicht hier? Ich habe schon vor einer Viertelstunde nach ihr geschickt.«
»Sie kommt gerade mit ihrem Sohn den Weg herauf, Monsieur.«
»Gut. Ich will sie aber nacheinander sprechen.«
Marchaud salutierte und verschwand wieder. Gleich darauf führte er Mrs Renauld herein.
»Hier kommt Madame.«
Giraud trat mit einer kurzen Verbeugung vor.
»Hier entlang, Madame.« Er führte sie zu dem Toten, trat beiseite und sagte: »Hier ist der Mann. Kennen Sie ihn?«
Und dabei fixierte er mit stechendem Blick ihr Gesicht, er versuchte, ihre Gedanken zu lesen, nahm jede Einzelheit in ihrem Verhalten zur Kenntnis.
Doch Mrs Renauld blieb völlig gelassen – zu gelassen, wie ich fand. Sie betrachtete den Leichnam fast gleichgültig und auf jeden Fall ohne irgendein Anzeichen von Erregung oder Wiedererkennen.
»Nein«, sagte sie. »Ich habe ihn nie im Leben gesehen. Er ist mir ganz und gar fremd.«
»Sind Sie sicher?«
»Ganz sicher.«
»Sie erkennen in ihm keinen von den Männern, die Sie überfallen haben?«
»Nein.« Sie schien zu zögern, als sei ihr eine Idee gekommen. »Nein, ich glaube nicht. Natürlich hatten sie beide Bärte – falsche Bärte, wie der Untersuchungsrichter meint – aber trotzdem, nein.« Jetzt fasste sie offenbar ihren Entschluss endgültig. »Ich bin ganz sicher, dass der Mann nicht dabei war.«
»Sehr gut, Madame. Das wäre dann alles.«
Hoch erhobenen Hauptes verließ sie den Schuppen, und die Sonne ließ die silbernen Fäden in ihrem Haar aufleuchten. Gleich darauf kam Jack Renauld herein. Auch er sagte auf ganz natürliche Weise, er könne den Mann nicht identifizieren.
Giraud grunzte nur. Mir war nicht klar, ob ihn das freute oder verärgerte. Er rief Marchaud.
»Sie haben die andere draußen?«
»Ja, Monsieur.«
»Bringen Sie sie herein.«
Die »andere« war Madame Daubreuil. Sie war empört und protestierte energisch.
»Ich muss schon sagen, Monsieur! Das ist eine Unverschämtheit! Was geht mich das alles überhaupt an?«
»Madame«, sagte Giraud brutal, »ich untersuche nicht einen, sondern zwei Morde. Und beide können durchaus von Ihnen begangen worden sein.«
»Was erlauben Sie sich?«, rief sie. »Wie können Sie es wagen, mich dermaßen zu beschuldigen? Das ist eine Frechheit!«
»Frechheit, ja? Und was ist das?« Er bückte sich, wickelte das Haar vom Messer und hielt es hoch. »Sehen
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