Mord auf dem Golfplatz
halten«, erwiderte der andere trocken. »Vor allem, wenn sie zu Unrecht angeklagt werden.«
»Sie glauben also nicht, dass Jack Renauld den Mord begangen hat?«, fragte ich eifrig.
»Natürlich nicht. Ich kenne den Jungen. Ich gebe zu, dass mich einige Aspekte dieses Falles wirklich verwirren, aber auch wenn er sich jetzt wie ein Idiot aufführt, ich werde Jack Renauld nie für einen Mörder halten.«
Mein Herz schlug dem Sekretär entgegen. Es war, als befreiten seine Worte es von einer heimlichen Last.
»Ich bin ganz sicher, dass viele Ihre Überzeugung teilen«, rief ich. »Es gibt wirklich absurd wenige Indizien gegen ihn. Ich habe keinerlei Zweifel daran, dass er freigesprochen werden muss – keinerlei Zweifel.«
Doch Stonor reagierte nicht so, wie ich mir das gewünscht hatte.
»Ich wäre gern ebenso sicher wie Sie«, sagte er ernst und wandte sich an Poirot. »Was meinen Sie, Monsieur?«
»Ich glaube, die Lage sieht in vieler Hinsicht sehr düster für ihn aus«, sagte Poirot ruhig.
»Sie halten ihn für schuldig?«, fragte Stonor scharf.
»Nein. Aber ich glaube, es wird ihm schwer fallen, seine Unschuld zu beweisen.«
»Er führt sich so verdammt seltsam auf«, murmelte Stonor. »Ich weiß natürlich auch, dass es in diesem Fall um sehr viel mehr geht, als man mit bloßem Auge sehen kann. Giraud merkt das nicht, er ist schließlich ein Außenseiter, aber die ganze Sache ist verdammt merkwürdig. Nun ja, Schweigen ist Gold. Wenn Mrs Renauld etwas vertuschen will, dann werde ich mich an ihre Anweisungen halten. Das ist ihr Stück, und ich achte ihr Urteil viel zu hoch, als dass ich mich da einmischen würde, aber Jacks Verhalten ist mir einfach ein Rätsel. Man könnte doch glatt denken, dass er als der Schuldige dastehen will!«
»Aber das ist doch absurd«, rief ich. »Da ist einmal das Messer…« Ich verstummte, weil ich nicht wusste, was ich nach Poirots Ansicht überhaupt verraten durfte. Ich sagte, und dabei wählte ich meine Worte sehr genau: »Wir wissen, dass Jack Renauld das Messer an diesem Abend gar nicht haben konnte. Mrs Renauld weiß das.«
»Das stimmt«, sagte Stonor. »Und wenn sie wieder zu sich kommt, dann wird sie sicher das alles und noch viel mehr erzählen können. Aber ich muss Sie jetzt verlassen.«
»Einen Moment noch«, Poirots Hand hielt ihn zurück. »Können Sie dafür sorgen, dass ich sofort informiert werde, wenn Madame Renauld ihr Bewusstsein zurückerlangt?«
»Aber natürlich. Das ist kein Problem.«
»Die Sache mit dem Messer ist doch wichtig, Poirot«, sagte ich, als wir nach oben gingen. »Vor Stonor konnte ich nicht wirklich offen sein.«
»Und das war nur richtig von Ihnen. Wir sollten dieses Wissen so lange wie möglich für uns behalten. Und was das Messer angeht, so ist Ihre Aussage Jack Renauld kaum eine Hilfe. Wissen Sie noch, dass ich heute Morgen, ehe wir London verlassen haben, für eine Stunde ausgegangen bin?«
»Ja?«
»Ich habe die Firma gesucht, die Jack Renaulds Andenken hergestellt hat. Das war nicht sehr schwer. Eh bien, Hastings, er hat nicht zwei Papiermesser machen lassen, sondern drei –«
»Und das heißt…«
»Das heißt, dass er eines seiner Mutter und eines Bella Duveen geschenkt hat und dass er dann noch ein drittes hatte, das er zweifellos selber benutzen wollte. Nein, Hastings, ich fürchte, die Sache mit dem Messer wird uns nicht helfen, ihn vor der Guillotine zu retten.«
»So weit wird es nicht kommen«, rief ich gequält.
Poirot schüttelte skeptisch den Kopf.
»Sie werden ihn retten«, rief ich voller Überzeugung.
Poirot musterte mich ironisch.
»Haben Sie das nicht unmöglich gemacht, mon ami?«
»Auf irgendeine andere Weise«, murmelte ich.
»Ah! Sapristi! Da erwarten Sie aber Wunder von mir. Nein – schweigen Sie. Lassen Sie uns lieber diesen Brief lesen.«
Er zog den Umschlag aus seiner Brusttasche.
Beim Lesen verzog er das Gesicht, dann reichte er mir den dünnen Briefbogen.
»Es gibt auf der Welt noch andere leidende Frauen, Hastings.«
Die Schrift war undeutlich, und die Nachricht war offenbar in großer Erregung zu Papier gebracht worden.
Lieber Monsieur Poirot
Wenn Sie diesen Brief erhalten, dann helfen Sie mir, ich bitte Sie. Ich habe sonst niemanden, und Jack muss um jeden Preis gerettet werden. Ich flehe Sie auf Knien um Ihre Hilfe an.
Marthe Daubreuil
Bewegt gab ich ihm den Brief zurück.
»Sie fahren doch zu ihr?«
»Sofort. Wir nehmen einen Wagen.«
Eine halbe Stunde
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