Mord auf der Leviathan
Gattin öffentlich ein Geschenk – ungewöhnlich geschmacklose Topasohrringe. Wie vulgär – aus der Überreichung eines Geschenks an die eigene Ehefrau ein Spektakel zu machen! Aber Mrs. Truffo sah es offenbar nicht so. Sie lebte auf und wirkte ganz glücklich, und ihre fade Physiognomie nahm die Farbe von geriebenen Mohrrüben an. Der Leutnant sagte: »O Madame, wenn wir früher von dem freudigen Ereignis gewußt hätten, würden wir bestimmt eine Überraschung für Sie vorbereitet haben. Geben Sie Ihrer Bescheidenheit die Schuld.« Das hirnlose Geburtstagskind errötete noch mehr und stammelte schüchtern: »Sie möchten mir wirklich etwas Gutes tun?« Die Antwort war ein allgemeines gutmütig träges Brummen. »Dann«, so sagte sie, »lassen Sie uns Lotto spielen. In unserer Familie wurden an Sonn- und
kirchlichen Feiertagen immer Karten und der Spielmarkenbeutel hervorgeholt. Oh, das macht solchen Spaß! Meine Herrschaften, Sie würden mir eine große Freude machen!« Ich hörte Mrs. Truffo zum erstenmal eine so umfängliche Rede halten. Im ersten Moment glaubte ich, sie wolle sich über uns lustig machen, doch nein, sie meinte es ernst. Was sollten wir tun? Nur Regnier entschlüpfte, da er angeblich seine Wache antreten mußte. Der tumbe Kommissar versuchte ebenfalls, sich auf dringende Pflichten zu berufen, aber alle sahen ihn so mißbilligend an, daß er schnaufte und blieb.
Mr. Truffo holte das Zubehör für das idiotische Spiel, dann begann die Quälerei. Alle legten trübsinnig ihre Karten aus und blickten wehmütig auf das sonnenbeschienene Deck. Die Fenster standen weit offen, durch den Salon wehte eine frische Brise, doch wir saßen da und spielten eine Szene aus dem Kinderzimmer. »Als Anreiz«, wie das beflügelte Geburtstagskind sagte, wurde eine Bank eingerichtet, in die jeder eine Guinee einzahlte. Die Siegeschancen lagen bei der Bankhalterin selbst, da sie als einzige aufpaßte, welche Nummern ausgerufen wurden. Der Kommissar hatte wohl auch nicht übel Lust, die Bank zu sprengen, aber er verstand nicht die kindlichen Sprüche, mit denen Mrs. Truffo um sich warf – ihr zu Liebe wurde diesmal englisch gesprochen.
Die jämmerlichen Topasohrringe im Wert von zehn Pfund bewogen Sweetchild, sein Steckenpferd zu satteln. »Ein ausgezeichnetes Geschenk, Sir!« sagte er zu dem Arzt. Der strahlte vor Vergnügen, doch Sweetchilds nächster Satz verdarb alles. »Gewiß, Topase sind heutzutage wohlfeil, aber wer weiß, vielleicht geht der Preis so in hundert Jahren wieder in die Höhe. Edelsteine sind ja so unberechenbar! Sie sind ein richtiges Wunder der Natur, nicht so wie die langweiligen Metalle Gold und Silber. Metall ist seelenlos und formlos, man kann es umschmelzen,
doch Steine haben ihre unwiederholbare Individualität. Sie geben sich jedoch nicht jedem in die Hände, nur dem, der vor nichts haltmacht und um ihres magischen Strahlens willen bis ans Ende der Welt zu gehen bereit ist, vielleicht noch weiter.« Diese hochtrabenden Sentenzen waren begleitet vom Piepsen der Mrs. Truffo, welche die Nummern der Spielmarken ausrief. Ein Beispiel. Sweetchild sagt: »Ich erzähle Ihnen die Legende von dem großen und mächtigen Eroberer Mahmud von Ghasna, der vom Glanz der Diamanten verzaubert war und auf der Suche nach den Zauberkristallen halb Indien mit Feuer und Schwert durchquerte.« Mrs. Truffo: »Elf, meine Herrschaften. Zwei Einsen, zwei Trommelstöckchen.« Und so die ganze Zeit.
Übrigens, die erwähnte Legende will ich nacherzählen. Sie wird Ihnen helfen, den Charakter des Erzählers besser zu verstehen. Ich werde mich bemühen, seinen eigenartigen Redestil wiederzugeben.
»Im Sommer des Jahres (ist mir entfallen) nach Christi Geburt und nach muselmanischer Zeitrechnung im Jahre (ist mir erst recht entfallen) erfuhr der mächtige Mahmud von Ghasna, daß es auf der Halbinsel Kathiawar einen Tempel gebe, in dem ein gewaltiges Götzenbild aufbewahrt werde, vor dem sich Hunderttausende von Menschen zu verneigen pflegten. Der Götze beschütze die Grenzen jenes Landes vor fremdländischen Überfällen, und jeder, der diese Grenzen mit dem Schwert in der Hand überschreite, sei des Todes. Das Heiligtum gehöre einer mächtigen brahmanischen Gemeinde, der reichsten in ganz Indien. Überdies besäßen die Brahmanen unermeßliche Mengen von Edelsteinen. Der furchtlose Mahmud hatte keine Angst vor der Macht des Götzen, er zog sein Heer zusammen und begab sich auf den Feldzug. Er schlug
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