Mord auf Raten
zurechtkommt. Ich möchte nicht mit ansehen müssen, wie er allmählich zugrunde geht. Zwischen uns läuft ja schon seit über einem Jahr nichts mehr. Wir gehen nicht mehr weg, wir reden kaum noch miteinander, ich kann an einer Hand abzählen, wie oft wir gemeinsam die Mahlzeiten eingenommen haben, vom Schlafzimmer ganz zu schweigen. Das ist doch keine Ehe, oder?«
»Haben Sie schon einmal mit ihm darüber gesprochen?«, fragte Nicole Eberl mitfühlend.
»Einmal? Mein Gott, bestimmt hundertmal! Aber er hört mir nicht einmal mehr zu, er winkt immer nur ab, und inzwischen habe ich es aufgegeben, mir den Mund fusselig zu reden. Ich habe auch mit Jürgen gesprochen. Er hat nur gemeint, dass mein Mann kein Einzelfall ist und er mehr von seiner Sorte kennt. Und ich weiß ja, dass er Recht hat, und ich bin weiß Gott kein Einzelfall. Sie brauchen nur im Tennisclub die Frauen zu fragen, wie viele von denen frustriert sind. Was glauben Sie, was die machen, wenn ihre Männer ständig auf Achse sind oder sie nicht mehr beachten, außer sie brauchen sie zum Vorzeigen? Zu Hause sitzen und Däumchen drehen?« Sie lachte auf und schüttelte den Kopf. »Das hört sich schlimm an, aber Tatsache ist, dass ich nicht die Einzige bin, die noch was nebenher laufen hat.«
»Was können Sie uns über Dr. Kaufung als Menschen sagen? Wie war er?«
Denise Zinner hob die Schultern, ihre Nasenflügel bebten, sie zitterte und hatte Mühe, die Kontrolle zu bewahren und nicht wieder in Tränen auszubrechen. »Er hat zugehört. Natürlich musste man dafür bezahlen, aber wer wie ich nicht jeden Pfennig dreimal umdrehen muss, dem ist das egal. Er hat gut von den Problemen anderer gelebt, doch er hat auch eine entsprechende Leistung dafür geliefert. Ja, ich habe mit ihm geschlafen, andere Frauen haben das auch getan, und jeder wusste es, aber ob Sie es glauben oder nicht, es war nicht das Wichtigste. Er hat die Menschen, vor allem die Frauen, verstanden. Und das ist heutzutage gar nicht so selbstverständlich. Er war einfühlsam, verständnisvoll und zärtlich. Und er hatte die begnadetsten Hände der Welt. Wenn er eine Reiki-Behandlung gemacht hat, dann wurde man in eine andere Dimension geführt«, sagte sie mit verklärtem Blick. »Ich habe dagelegen, im Hintergrund lief leise Meditationsmusik, aber sonst gab es keine Geräusche. Wir haben nicht gesprochen, doch hinterher hat er mir jedes Mal seine Wahrnehmungen mitgeteilt, und er hat immer Recht gehabt. Er wusste genau, wie ich mich fühlte, wo meine Schwachstellen waren, und hat mir allmählich geholfen, zu mir selbst zu finden. So tief wie er hat noch niemand in mich hineingesehen. Und sollten Sie meinen, er wäre einer gewesen, der andere nur ausgenutzt hat, dann täuschen Sie sich. Eigentlich haben wir ihn ausgenutzt, und er hat es nicht einmal gemerkt.«
»Wer ist wir?«
»Seine Patientinnen. Ich bin unendlich traurig, dass er tot ist, das müssen Sie mir glauben, denn jetzt habe ich niemanden mehr, mit dem ich über meine Sorgen sprechen kann.«
»Haben Sie denn keine Eltern oder Geschwister?«
»Natürlich habe ich Eltern, aber mit denen kann ich nicht so reden wie mit Jürgen. Sie sagen immer nur, Kind, du musst Geduld haben, es wird schon alles werden, es ist doch wichtig, dass dein Mann für dich sorgt … blablabla. Na ja, sie waren schon ziemlich alt, als ich geboren wurde, deshalb sei ihnen diese Einstellung verziehen. Aber verdammt noch mal, ich will keine Geduld mehr haben! Und jetzt, da Jürgen tot ist, werde ich wohl meinen Entschluss in die Tat umsetzen.«
»Welchen Entschluss?«, wollte Brandt wissen.
»Ich werde meine Sachen packen und weggehen. Vielleicht werde ich Medizin studieren und später einmal eine Praxis aufmachen. Ich habe leider den Fehler begangen zu heiraten, als ich gerade mein erstes Semester beendet hatte und mein Mann verlangte, das Studium aufzugeben. Aber dieses Leben lasse ich mir nicht länger gefallen, ich werde mein Studium wiederaufnehmen. Und mein Vorbild wird Jürgen sein.«
»Ich wünsche Ihnen alles Gute«, sagte Brandt und erhob sich zusammen mit Eberl. »Trotzdem möchte ich Sie bitten, sich noch eine Weile zu unserer Verfügung zu halten. Es könnte sein, dass wir noch die eine oder andere Frage haben.«
»Keine Sorge, ich werde nicht gleich heute packen. Irgendwann in den nächsten Wochen oder Monaten.«
Denise Zinner begleitete die Beamten zur Tür, wo Brandt sie fragte: »Wirkte Dr. Kaufung gestern anders auf Sie als
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