Mord auf Raten
letzten Jahren ein Verhältnis mit dem Toten hatten. Auch die Ehemänner von Kaufungs verheirateten Geliebten wurden befragt, unter anderem Michael Zinner und Wolfgang Johannsen, aber alle konnten für die Tatzeit ein einwandfreies Alibi vorweisen. Die Öffentlichkeit wurde um Mithilfe gebeten, doch es ergaben sich keine neuen Hinweise auf den Mörder. Die Vergangenheit von Kaufung wurde bis ins kleinste Detail durchleuchtet, aber auch hier fand sich nichts Verwertbares. Elvira Klein zeigte sich alles andere als erfreut über die nicht vorhandenen Ergebnisse und ließ Brandt mehrfach ihren Unmut deutlich spüren, was er jedoch mit der ihm eigenen stoischen Gelassenheit hinnahm.
Die Schulferien gingen zu Ende, Sarah und Michelle kamen braungebrannt aus Spanien zurück. Brandt war froh, sie wieder bei sich zu haben. Sie hatten sich nicht verändert, wie er befürchtet hatte, sie betonten aber, dass es ein schöner Urlaub war und sie vielleicht im nächsten Sommer wieder zu ihrer Mutter fahren würden.
Am 1. September begann die Schule, und wie immer gingen Sarah und Michelle nach dem Unterricht zu ihren Großeltern, um zu Mittag zu essen, und machten dort oder beiFreundinnen ihre Hausaufgaben. Der heißeste und trockenste Sommer (ein Mördersommer, wie ihn viele im Präsidium nannten) seit Menschengedenken neigte sich allmählich dem Ende zu, die Nächte wurden kühler, die Tage kürzer, die Menschen atmeten auf. Noch war kein ergiebiger Regen in Sicht, der die fast ausgetrockneten Flussbetten wieder mit Wasser füllte und die verdorrte Erde tränkte. Aber dies war die geringste Sorge, die Brandt plagte, denn der mysteriöse Mord an Kaufung schien mit jedem Tag mehr, der verging, zu einem unlösbaren Fall zu werden, zu einem perfekten Verbrechen, bei dem der Mörder nicht die winzigste Spur hinterlassen hatte. Bis zum 24. September, gut zwei Monate nach dem Mord.
Mittwoch, 24. September 2003, 9.30 Uhr
Sandra Heuser hatte das lange blonde Haar zu einem Zopf gebunden. Sie war gutgelaunt wie fast immer, als sie sich auf den Weg zu ihrem Arbeitsplatz machte, der Galerie Wedel. Sie wohnte nur zehn Minuten zu Fuß entfernt, genoss die Sonne, die aber nicht mehr die Kraft besaß wie noch vor wenigen Tagen. An einem Zeitungskiosk kaufte sie zwei Magazine und eine Schachtel Zigaretten, unterhielt sich noch einen Moment mit dem Besitzer, den sie seit mehr als drei Jahren kannte, ein junger Türke, der hier aufgewachsen war und besser Deutsch als Türkisch sprach und der gerne etwas mit ihr angefangen hätte. Aber im Gegensatz zu früher stand sie nicht mehr auf südländische Männer. Eine schlechte Erfahrung vor sechs Jahren mit einem Marokkaner, der auch vor Handgreiflichkeitennicht zurückschreckte, hatte sie vorsichtig werden lassen. Zur Zeit lebte sie allein, auch wenn es viele Männer gab, die sie hofierten, aber sie war wählerisch und sicher, bei passender Gelegenheit einen zu finden, mit dem sie alt werden würde. Noch aber hatte sie ihn nicht gefunden, war sich jedoch bewusst, dass ihre biologische Uhr bereits in immer schnellerem Tempo tickte, und wenn nicht bald Mr. Right in ihr Leben trat, würde ihr größter Wunsch, eine eigene Familie zu gründen, nie in Erfüllung gehen. Trotz allem war sie kein Kind von Traurigkeit. Sie verzichtete nicht auf die Freuden und Annehmlichkeiten des Lebens, wozu auch Männer gehörten, mit denen sie ihre Nächte verbrachte, ohne bisher auch nur einen von ihnen näher als an ihren Körper zu lassen. Daran dachte sie jedoch an diesem herrlichen Vormittag nicht, als sie nach dem kurzen Gespräch ihren Weg zur Galerie fortsetzte, wo die letzten Vorbereitungen rund um die Ausstellung mit den Fotografien und Gemälden von David Patterson auf Hochtouren liefen. Von heute bis Freitag würde die Galerie geschlossen bleiben, lediglich gute Freunde und gutbetuchte Stammkunden hatten nach telefonischer Vorankündigung Zutritt.
Die Vorbereitungen hatten bislang mehr als drei Monate in Anspruch genommen. Dafür waren schon jetzt Klaus Wedels Erwartungen weit übertroffen worden, was nicht zuletzt damit zusammenhing, dass die Medien bereits im Vorfeld ausführlich über die anstehende Ausstellung berichteten, Wedel und Patterson gemeinsam im Fernsehen aufgetreten waren und mit einem enormen Besucherandrang gerechnet wurde. Patterson hatte den Transport seiner Werke vor einer Woche persönlich überwacht und dafür gesorgt, dass alles ordnungsgemäß von New York nach Offenbach gebracht wurde.
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