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Mord auf Widerruf

Mord auf Widerruf

Titel: Mord auf Widerruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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sind alle glücklich und zufrieden, die Kirche, die Urlauber, die Geschäftsleute, die Historiker und die Verkehrspolizei!«
    »Es muß sehr befriedigend sein, so viele Menschen glücklich zu machen«, sagte Dorothy Horncastle mit einem matten Lächeln.
    Sie ist eigentlich ziemlich hübsch, dachte Eileen Chung. Zehn Minuten mit dem Leichner-Kasten, eine rötlichbraune Perücke, die zu den Augen paßt, dazu ein opulentes rotes Gewand mit einem Streifen schwarzer Trauerspitze um den Hals und sie gäbe eine durchaus präsentable Olivia ab. Ungeschminkt, die feinen Züge im beißenden Wind skeletthaft herausgemeißelt, das Haar unter einer unförmigen Wollmütze und den Körper in einem voluminösen Tweedmantel versteckt, sah sie aus wie eine ländliche Laienschauspielerin, die sich an Mutter Courage versucht.
    Sie gingen weiter und betraten die mittelalterlichen, sich um die Kathedrale windenden Gäßchen. Eileen Chung verlangsamte ihr Tempo, so daß sie zwischen den Horncastles zu gehen kam, und sprach in verändertem, sehr ernstem Ton davon, daß sie noch einmal die Tage einzufangen gedenke, da Geistiges und Weltliches unentwirrbar miteinander verwoben waren und die Kirche der Lebensmittelpunkt war. Gleichzeitig nahm sie jede Einzelheit der gewundenen Basaltsteinwege wahr, die von dichtgedrängten Läden und Häusern gesäumt waren, deren Fachwerkgiebel beinahe aneinanderstießen. Und vor ihrem geistigen Auge, gründlich abgeschirmt, so daß ihr auch nicht die leiseste verbale Andeutung entschlüpfte, die den Stiftsherrn hätte stutzig machen können, zogen die großen Wagen in den buntesten, aufregendsten Bildern vorüber, über die Pflastersteine polternd, angekündigt von Musik und Tänzern und gefolgt von einem Rattenschwanz aus Jongleuren, Akrobaten, Feuerschluckern, Narren, Flagellanten, Riesen, Zwergen, Tanzbären, munteren Mönchen, Ablaßkrämern mit ihren wohlfeilen Waren, Rittern hoch zu Roß, Sarazenen in Ketten, heiratsfähigen Nubierinnen … Etwa an dieser Stelle hatte der Mediävist von der Universität in seiner Solositzung Einwände erheben wollen, aber sie hatte ihn mit dem Ausruf zum Schweigen gebracht: »Ach was! Das Spektakel ist für Otto Normalverbraucher gedacht! Und ich frage Sie: Will der Authentizität oder seinen
Spaß
haben?« Und dann hatte sie sich seiner Mitarbeit versichert, indem sie ihm das Bein ein gutes Stück oberhalb des Knies gedrückt und lächelnd gesagt hatte: »Einverstanden, verzichten wir auf die Nubierinnen. Würde Sie das glücklich machen?« Und nach nochmaligem Drücken ihrerseits konnte er nicht anders als zustimmen.
    Und nun kamen sie auf den Platz, auf dem die Kathedrale stand, und alles war ganz anders. Nur wenig Mittelalterliches hatte die »Modernisierung« im achtzehnten Jahrhundert überstanden, als die Innensanierungen von James Wyatt – auch Wyatt der Zerstörer genannt – ihr Pendant in einer unbarmherzigen Säuberungsaktion des, wie selbst Historiker einräumen mußten, kirchlichen Elendsviertels fanden. Ein aus dem vierzehnten Jahrhundert stammendes Dekanat war verschont geblieben, weil der Dekan sich kurzerhand geweigert hatte, mit seiner vielköpfigen Familie auszuziehen, und eine Reihe jakobinischer Armenhäuser verdankt ihre Rettung ähnlichen logistischen Problemen. Zwischen diesen Gebäuden und dem ein oder anderen weiteren alten Bau waren neue Häuser in verschiedenen Stilen entstanden, von klassizistischer Häuslichkeit über pittoreske Romantik zu viktorianischer Gotik. Und die meisterlichsten Architekten und Städteplaner hätten nicht erreichen können, was der Zufall der Nachwelt bescherte – eine Mischung von entzückender Harmonie. Hier war nichts, woran ein Prinz hätte Anstoß nehmen können.
    Man betrat den Münsterplatz durch einen in eine Sandsteinmauer eingelassenen Granittorbogen, und obwohl die alten Holztore längst verschwunden waren, hatte man doch noch immer das Gefühl, daß hier Zutritt gewährt wurde und man nach der überspannten Hektik des modernen Lebens lieblichere und ruhigere Gefilde betrat.
    Eileen Chung nahm sich vor, den Torbogen ausmessen zu lassen. Ihre Prozession sollte allen Beteiligten Vergnügen bereiten und nicht zur Farce werden, weil einer der Wagen zwischen den Pfosten festklemmte. Sie hielt den Stiftsherrn am Arm, um ihn die Strecke entlangzumanövrieren, die sie sich ausgeguckt hatte, während sie ihm gleichzeitig genügend Spielraum ließ, sich einzubilden, daß es seine Ortskenntnisse waren, die

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