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Mord auf Widerruf

Mord auf Widerruf

Titel: Mord auf Widerruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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ihr den besten Weg wiesen. Ganz einfach war das nicht, da man in Anbetracht der Tatsache, daß Charter Park, der geplante Aufführungsort, so weit westlich des Marktplatzes lag wie die Kathedrale östlich davon, schwerlich behaupten konnte, der beste Weg schließe den Münsterplatz mit ein. Eileen Chung hatte den Umweg religiös begründet. Die große Eröffnungsprozession solle neben dem Profanen auch das Sakrale mit einschließen.
    Ihr eigentlicher Grund war jedoch, daß sie keinerlei Absicht hegte, ihre Inszenierung in dem weiten, flachen Park aufzuführen, der von einer Hauptstraße und einem kanalisierten Flußbett begrenzt wurde und ihr nur die Wahl zwischen dem statischen Hintergrund düsterer Speicherhäuser und der sich bewegenden Kulisse von Doppeldeckerbussen ließ.
    Der Spielort ihrer Wahl lag viel näher. Am anderen Ende der Kathedrale erstreckte sich eine schöne Grünfläche, die, weitläufig mit alten Bäumen bestanden, zur Kathedrale gehörte und sich zu einer Mulde senkte, bevor sie zu einem natürlichen Wall anstieg, auf dem Reste der mittelalterlichen Stadtmauern erhalten geblieben waren. Noch mehr war von den Ruinen der Saint-Begas-Abtei vorhanden, der Abtei, die die treibende Kraft und – nach ihrer Schließung – der Steinbruch für das riesige gotische Bauwerk gewesen war, das sich mit jedem anderen im Land messen konnte und das anstelle der kleinen anglonormannischen Kirche errichtet worden war.
    Das war die Stelle, nach der es Eileen Chung gelüstete.
    Sie hatten die große Kathedrale erreicht. Eileen Chung blieb stehen und reckte den Hals, um den hoch in den Himmel ragenden Laternenturm zu sehen.
    »Es ist unglaublich«, sagte sie. »Wie haben die das nur alles ohne Maschinen bewerkstelligt?«
    »Sie hatten etwas Besseres. Sie hatten Gott«, sagte der Stiftsherr.
    Ein gutes Stichwort. Sie sah ihn abschätzend an. »Und das ist alles, was es braucht? Ich habe das Gefühl, daß ich ihm näher bin denn je. Kanonikus Horncastle, wäre es möglich, auf den Turm zu klettern, um alles aus der Vogelperspektive zu sehen?«
    Horncastle zögerte, doch seine Frau kam Eileen Chung ungewollt zu Hilfe. Auf ein spitzgiebeliges Haus weisend, das so eng und abweisend wie der Stiftsherr war, sagte sie: »Ich dachte, da wir ganz in der Nähe unseres Hauses sind, wäre vielleicht eine Tasse Kaffee …«
    »Dorothy«, fiel ihr der Stiftsherr leicht gereizt ins Wort, »ich hatte mich verpflichtet, Miss Chung heute morgen zu beraten. In einer Stunde erwartet mich ein wichtiges Mittagessen im Bischofspalast. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die noch verbleibende Zeit mit einer Kaffeepause in meinen eigenen vier Wänden fruchtbar genutzt wäre. Wenn Sie mir folgen würden, Miss Chung.«
    Er schlug den Weg in die Kathedrale ein. Eileen Chung bedachte seine Frau mit einem entschuldigenden Lächeln und sagte: »Ein anderes Mal, ja?«, bevor sie ihm folgte.
    Es war eine mühsame Kletterei die steile, dunkle Wendeltreppe hinauf, doch jeder Tropfen Schweiß hatte sich gelohnt. Die Stadt lag wie ein bebilderter Plan zu ihren Füßen, und nur an wenigen Stellen wurde der Blick zum fernen blaugrünen Horizont unterbrochen. Allein der dünne Turm, der in den erweiterungsbeflissenen sechziger Jahren dem alten roten Backsteinbau der Universität entwachsen war, konkurrierte in seiner Höhe mit der Kathedrale, doch wenngleich er das Licht der kalten Wintersonne höchst trotzig abblitzen ließ, sahen sein Glas und Beton kaum danach aus, als würden sie weiteren sechs Jahrhunderten Trotz bieten.
    Eileen Chung ging von einer Seite zur anderen, nahm ihr Stirnband ab und ließ sich ihr langes schwarzes Haar von dem frischen Wind zerzausen. Der Stiftsherr beobachtete ihre Begeisterung mit dem Vergnügen des Hausherrn. Einige Minuten später tauchte Dorothy Horncastle unbemerkt in der schmalen Eichentür auf.
    Am östlichen Geländer blieb Eileen Chung stehen und schaute zu den zwergenhaft verkleinerten Ruinen der alten Abtei hinunter. Horncastle trat zu ihr.
    »Das ist großartig«, sagte sie aufrichtig.
    »Ja. Ich bin stolz darauf, daß wir mit dieser Lage und diesem Ausblick unseren Besuchern ein unvergleichliches Schauspiel bieten können«, sagte der Stiftsherr selbstgefällig.
    »Ein unvergleichliches Schauspiel?« sagte Eileen Chung auf ihrer Suche nach einem Stichwort hellhörig. »Ja, ich verstehe, was Sie meinen. Sie sind wohl in der Antike zu Hause, Kanonikus Horncastle. Das Land dort drüben hätten die Griechen

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