Mord auf Widerruf
würde wahrscheinlich sagen, daß sie mit Hilfe des Lebens anderer den Sinn in ihrem eigenen zu ergründen suchte. Dalziel hingegen würde sagen, laß doch die verdammten Bücher! Lang mal dahinter und sieh nach, was sie zu verstecken hat!
Mit dem Verstecken kannte sich Wield bestens aus, und er wußte auch, daß wir weit weniger verstecken, als wir uns einbilden. Jahrelang hatte er seine wahre sexuelle Orientierung hinter der Staubjacke eines heterosexuellen, unauffälligen, sachlichen Polizisten versteckt. Doch als er schließlich beschloß, sich zu outen, tauchte kein zarter, strahlender Schmetterling auf. Er war noch immer die alte, plumpe grüne Raupe, die systematisch am Blatt knabberte, bis sich die Löcher miteinander verbanden und er deutlich auf die andere Seite blicken konnte.
Er machte sich wieder ans Knabbern und wies auf das Kruzifix.
»Sie sind Katholikin, nicht wahr, Mrs. Waterson?«
»Was? Ach so. Und das heißt, daß ich jedes Jahr wie eine Zuchtstute werfen sollte?«
»Das habe ich nicht gesagt. Sie könnten jedoch Kinder haben, die beim Vater geblieben oder zu den Großeltern gegangen sind, als es zum Zerwürfnis kam.«
»Tja, Kinder habe ich keine. Und was wissen Sie schon über das Scheitern meiner Ehe? Mit wem haben Sie gesprochen? Krankenhaustratsch? Bei Gott, wenn die so schwer arbeiten würden wie ich, hätten sie keine Zeit zum Tratschen!«
Die Inbrunst, mit der sie sprach, trieb ihr Farbe in die fahlen Wangen. Wield, der abwog, inwieweit der emotionale Aufruhr, dessen Zeuge er wurde, auf berufliche Betroffenheit oder Ursachen, die möglicherweise mit seiner Ermittlung zu tun hatten, zurückzuführen war, schob eine tüchtige Portion auf ihren Job.
»Sind Sie gern Krankenschwester?« fragte er absichtlich töricht.
»Gern? Sie meinen, ob es eine Berufung ist? Oder ob ich auf den Stationen trällere?«
»Ein bißchen von beidem. Ich meine, Sie müssen ganz schön gut sein. Wie alt sind Sie, sechsundzwanzig, siebenundzwanzig? Und Sie sind schon Stationsschwester.«
Sie lachte und zündete sich schon wieder eine Zigarette an.
»Ich bin vierundzwanzig, Sergeant, und als ich vor drei Jahren hier anfing, sagten alle, ich sähe wie sechzehn aus. Und was die Stationsschwester betrifft, so bin ich das, weil die Krankenschwestern heutzutage einzeln eintrudeln und in Scharen wieder abhauen. Ich hatte nicht einmal die halbe Erfahrung, die es dafür braucht, und manchmal, wenn ich mitten in der Nacht allein auf Station bin und bis auf den vereinzelten Seufzer und Furz alles ruhig ist und ich kaum die Augen offenhalten kann, muß ich manchmal daran denken, daß ich diejenige bin, die die Entscheidungen zu fällen hat, wenn etwas passiert, sagen wir ein Notfall, wo es um Leben oder Tod geht, bis so ein armer Teufel von Arzt geweckt wird, der wahrscheinlich auch seine Augen kaum offenhalten kann. Dann fang ich an zu zittern, zum Teil aus Furcht, zum Teil aus Wut über die Ungerechtigkeit, daß man diese Arbeit von mir erwartet.«
Wie relevant war das alles? fragte sich Wield. Es könnte etwas mit dem Fall zu tun haben, da die Ehe der Watersons gescheitert war. Aber er hatte seine Zweifel. Um das Ergebnis taktischer Überlegungen zu sein, war dieser Ausbruch viel zu leidenschaftlich, um nicht zu sagen verzweifelt.
Es wurde Zeit, wieder zum Thema zu kommen.
»Als Sie Ihre Schicht antraten, sagte man Ihnen also, daß Ihr Mann eingeliefert worden war.«
»Nicht gleich«, erwiderte sie. »Nicht während der ersten paar Stunden. Dr. Marwood hat es mir gesagt.«
»Was war Ihre Reaktion?«
»Nun, ich wollte natürlich wissen, ob alles in Ordnung war. Und als Ellison … Dr. Marwood sagte, es sei nur nervliche Anspannung und man habe ihn sediert, es scheine ihm nun aber gutzugehen, war ich beunruhigt und fragte mich, ob es etwas mit mir zu tun hatte.«
»Hätte Sie das überrascht?«
Sie dachte darüber nach und sagte dann: »Ja, doch, es hätte mich erstaunt. Greg konnte sich sehr in etwas hineinsteigern, wissen Sie, durchdrehen, einen Anfall kriegen, bei Frauen würde man sagen, hysterisch werden. Häufig war es völlig unlogisch. Doch es mußte immer einen Auslöser geben, es reichte nicht, daß er einfach daheim saß und über ein Ereignis brütete. Und ich bezweifle, daß er viel darüber gebrütet hat, was mit uns passiert ist.«
»Was ist denn mit Ihnen passiert, Mrs. Waterson?« fragte Wield.
»Ich seh nicht, was Sie das interessieren könnte«, entgegnete sie. »Sie sind hier, um
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