Mord auf Widerruf
Vorwürfe hatten seine Züge in Wields Seele eingraviert.
Wield blieb stehen und verbarg sich im Schatten. Er hoffte, daß er Waterson nicht aus dem trauten Kreis seiner Gefährten herausholen mußte. Selbst wenn es sich nur um zufällige Bekannte handelte, konnte der Alkohol die Kneipenloyalität stärken. Würde er jedoch in den blauen Peugeot-Kombi einsteigen, um den sie alle herumstanden, würde er das Risiko eingehen müssen.
Das Glück war ihm hold. Zwei stiegen in den Wagen, und der dritte blieb auf dem Gehsteig stehen und unterhielt sich noch kurz mit Waterson, bevor er sich ans Steuer setzte. Als das Auto an ihm vorbeifuhr, nahm Wield sich die Zeit, um sich das Kennzeichen einzuprägen, bevor er Waterson folgte, der forsch in die entgegengesetzte Richtung marschierte. Wield hätte Waterson ganz einfach bei seinem Namen rufen können. Schließlich war er keines Verbrechens angeklagt, und es gab daher keinen Grund für ihn, Fersengeld zu geben. Doch hatte sich Waterson seit fast zwei Wochen so bedeckt gehalten, daß kein Zweifel daran bestand, daß er nicht scharf darauf war, seine Beziehungen zur Polizei zu vertiefen, und wenn seine Eitelkeit sich nicht nur auf seine modische Kleidung, sondern auch auf seine körperliche Fitneß erstreckte, hatte Wield keine Lust auf ein Wettrennen. Es war noch immer Zeit, den Abstand zu verringern, wenn sie belebtere Straßen erreichten.
Unglücklicherweise schlug Waterson eine Route ein, die sich von der Stadtmitte entfernte und durch ein altes Wohngebiet führte, das vor sechzig Jahren noch obere Kategorie war, wo man aber inzwischen in den Häusern Zimmer und auf der Straße Körper vermietete. Eine Razzia vor nicht allzu langer Zeit hatte die Freier für eine Weile verschreckt und die Bordsteinschwalben in Richtung Stadtmitte flattern lassen, so daß heute abend nichts los war. Direkt vor ihnen lag ein kleiner Park, der Kipling Gardens hieß. Einst war er als Treffpunkt für Schwule berüchtigt, doch Aids hatte den Verkehr dort ohne eine Polizeirazzia zum Erliegen gebracht. Waterson passierte hastig das Haupttor. Etwas weiter machte die Straße einen Knick und verlief seitlich am Park entlang. Wield war drauf und dran, seinen Schritt zu beschleunigen, um seine Beute einzuholen, solange sie außer Sichtweite war. Doch kaum hatte er die Ecke erreicht, blieb Waterson stehen, als spürte er einen Verfolger, und drehte sich um. Zum Glück war Wield gerade auf der Höhe des Parktores und trat geistesgegenwärtig in den Schatten der hohen Backsteinpfosten. Er blieb reglos mit gespitzten Ohren stehen und fragte sich, ob Waterson ihn wohl entdeckt hatte.
»Suchst du jemanden, Freundchen?« fragte eine weiche Stimme hinter ihm.
Erschreckt drehte er sich um. Ein junger Mann in einer ärmellosen Lederjacke mit Messingknöpfen lächelte ihn aus der Dunkelheit an. Er sah nicht älter als sechzehn oder siebzehn Jahre aus. Wield lächelte zurück und sagte: »Ein anderes Mal. Ich treffe mich mit einem Freund.«
Die Ablehnung war alles andere als schroff, zum Teil, weil er es nicht riskieren wollte, Watersons Aufmerksamkeit zu erregen, hauptsächlich aber, weil er dem Jungen keinen Ärger machen wollte. Doch das kam ihn teuer zu stehen.
»Hey, hier ist einer«, rief der Junge.
Und plötzlich drängten sich in der Dunkelheit die Gestalten hinter ihm – vier, fünf, sechs. Wield hatte keine Zeit, sie zu zählen, denn sie fielen über ihn her, schwangen Stöcke, die nach frisch abgebrochenen Ästen aussahen und die vielleicht weniger tödlich als Keulen oder Metallrohre waren, aber bei der Wucht, mit der sie auf ihn niedergingen, noch immer kräftig genug waren, um zu Reiß- und Schnittwunden zu führen.
»Verdammte Schwulensau, steckst anständige Leute mit deinem scheiß Aids an!« stieß der erste Junge zwischen den Schlägen hervor. Es war die reinste Ironie. Wield war sein ganzes Leben so vorsichtig und beherrscht gewesen, daß er nie in eine solche Situation geraten war. Und nun wurde er irrtümlicherweise zusammengeschlagen. Die Überlegung ging ihm später durch den Kopf, nicht, solange er alle seine Kräfte darauf konzentrieren mußte, auf den Füßen zu bleiben. Würde er erst einmal auf dem Boden liegen, kämen die Stiefel zum Einsatz, und die könnten weiß der Himmel welchen Schaden anrichten.
Er manövrierte sich mit dem Rücken gegen den Pfosten und hielt die Arme hoch, um seinen Kopf zu schützen. Ein Auto fuhr vorbei, und die Lichter glitten über ihn wie ein
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