Mord hat keine Tränen: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
wieder. Was hätte es auch genutzt? Trug er nicht sein eigenes Bündel Schuld am Ausgang jener Nacht? Warum war er so lahm in sein Zimmer zurückgekehrt, anstatt nach unten zu gehen und auf die Ankunft des Doktors zu warten? Er hätte in die Halle humpeln können, wo das Telephon stand, und den Arzt selbst anrufen ... aber nein. Nein, er musste zurück ins Bett, woher er gekommen war - nicht einmal heute konnte er seine Reaktion von damals verstehen -, und schlafen, schlafen bis zum nächsten Morgen. Er war im ersten grauen Licht des Morgens aufgewacht, und seine Mutter hatte vor ihm gestanden und ihm gesagt, dass sein Vater verstorben war.
»Dein Vater ist soeben von uns gegangen«, hatte sie gesagt, als hätte Edward Bickerstaffe beschlossen aufzustehen, sich anzuziehen und auf eine kurze Geschäftsreise zu gehen.
»Wohin gegangen?«, hatte Monty dümmlich gefragt.
Doch da hatte sie sich bereits umgewandt und war wieder zur Tür gegangen.
Sechs Jahre später hatte er Penny geheiratet.
»Meinen Glückwunsch, Monty«, hatte seine Mutter beim Hochzeitsmahl trocken gesagt. »Etwas Besseres hättest du nicht machen können.«
Er hatte die wahre Bedeutung ihrer Worte begriffen. Sie glaubte, er hätte Penny geheiratet, um Rache an ihr zu verüben. Sie glaubte, er hätte ihr Penny ins Nest gesetzt als Schwiegertochter, die rothaarige Tochter der alten Rivalin. Sie alle waren auf dem Hochzeitsphoto zu sehen: Montys Mutter, mit versteinertem Gesicht in einem Tweedkostüm und Sonntagsschuhen auf der einen Seite der Reihe und Pennys Mutter, verblasst, doch immer noch hübsch anzusehen mit ihrem Federhut am anderen Ende. Irgendwo über ihren Köpfen schien der Geist seines Vaters zu lauern.
Nein, er hätte nicht besser Rache nehmen können.
Doch seine Mutter irrte. Er hatte Penny geheiratet, weil er sie liebte. Wirklich liebte. Später hatte er herausgefunden, dass jemanden zu lieben und ein halbwegs anständiger Ehemann zu sein zwei völlig verschiedene Dinge waren.
Abends schließlich, als er und Penny die Photos alleine angesehen hatten, hatte Penny festgestellt: »Deine Mutter sieht nicht besonders glücklich aus auf den Bildern. Sie ist offensichtlich sehr traurig darüber, dass sie dich verloren hat.«
Er wollte ausnahmsweise die Wahrheit sagen und erwidern: »Nein, sie gibt keinen verdammten Dreck auf mich. Was sie wirklich ärgert ist die Tatsache, dass sie von allen und jedem ›Mrs. Bickerstaffe‹ genannt wird.«
Was er stattdessen sagte, klang folgendermaßen: »Sie hat wahrscheinlich vor der Zeremonie ein paar Gin zu viel getrunken. Außerdem hat sie sich noch nie gerne photographieren lassen.«
Und so hatte er - ganz zu Beginn seiner Ehe mit Penny - herausgefunden, dass er weiterhin kleine Notlügen würde erzählen müssen, was den Haufen von Geheimnissen immer weiter vergrößerte, entstanden aus einem einzigen vor so vielen Jahren, an einem warmen Sommertag, als die Lärchen gesungen hatten.
Schritte tappten draußen vor seinem Zimmer durch den Korridor. Er hörte ein energisches Klopfen an einer Tür und Bridgets Stimme. »Tansy! Wir können es nicht einfach dabei belassen! Du musst vernünftig sein!«
Tansy schien eine Antwort zu geben, die Monty nicht hören konnte, denn als Nächstes hörte er Bridget sagen: »Na schön, wir reden morgen früh weiter.«
Sie tappte erneut an seiner Tür vorbei. Danach herrschte Stille.
Am nächsten Morgen schien die Sonne. Als Jess in ihr Büro kam, fand sie einen Zettel auf dem Schreibtisch mit der Nachricht, dass Tom Palmer angerufen und dringend um Rückruf gebeten hätte. Sie nahm den Zettel und seufzte. Vermutlich wollte Palmer an diesem Abend wieder mit ihr essen gehen oder irgendwo etwas trinken. Sie war nicht sicher, ob sie dazu Lust hatte. Sie mochte Toms Gesellschaft, aber sie wollte nicht, dass diese Treffen einen regelmäßigen Charakter annahmen. Sie verspürte sogar eine gewisse Verärgerung, dass Tom annahm, sie hätte nichts anderes zu tun an ihren Abenden und niemanden sonst, mit dem sie sich treffen konnte. Aus diesem Grund beschloss sie, nicht sofort zurückzurufen, sondern sich erst später zu melden. Sie hatte wichtigere Dinge zu tun als über das Für und Wider der verschiedenen Spaghetti-Paläste oder Country-Clubs zu diskutieren.
Außerdem kam in diesem Augenblick Phil Morton herein. »Der Super will, dass wir zu ihm ins Büro kommen«, sagte er.
Jetzt musste Tom endgültig warten. Jess seufzte. Superintendent Carter wollte
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