Mord hat keine Tränen: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
die geringste Rolle, ob sie von einem Tier stammt oder von einem Menschen. Sie kochen doch, oder? Na ja, hin und wieder jedenfalls. Sie haben sicher schon mal Fleisch kleingeschnitten.«
Jess hatte genug Leichen gesehen, um im Allgemeinen nicht überempfindlich zu reagieren. Doch es war ihr nie gelungen, ihre eigene Sterblichkeit außen vor zu lassen, wenn sie die traurigen Überreste auf dem Untersuchungstisch liegen sah. »Was ich auseinanderschneide, ist abgehangen und sauber verpackt in einer Styroporschale!«, hatte sie ihm geantwortet. »Und es hat niemals ausgesehen wie Sie oder ich.«
Wenigstens war Palmer nicht im Leichenschauhaus, als sie dort ankam. Er war, genau wie er geschrieben hatte, in seinem Büro. Das verringerte die Wahrscheinlichkeit von Leichenteilen im Glas beträchtlich.
»Ah«, sagte Tom süffisant, als sie eintrat. »Jede Wette, Sie haben keine Ahnung, worum es geht. Ich habe eine geschlagene Dreiviertelstunde gebraucht, um es zu finden. Meine Zeit ist kostbar, wissen Sie? Ich sollte Ihnen eine Rechnung schreiben.«
»Wovon reden Sie überhaupt?«, entgegnete Jess. »Ich habe lediglich eine rätselhafte SMS erhalten. Meine Zeit ist genauso kostbar, Tom. Ich hoffe sehr, Sie verschwenden sie nicht? Ich habe eine wichtige Vernehmung durchzuführen.«
Tom blickte verletzt drein angesichts der weniger als freundlichen Antwort. »Sie erwarten doch nicht allen Ernstes, dass ich die Überraschung verderbe, indem ich alles in einer SMS schreibe? Abgesehen davon wäre sie viel zu lang geworden.«
»Worum geht es? «, platzte es aus Jess hervor.
Palmer zog eine Schublade in seinem Schreibtisch auf und nahm eine abgegriffene Illustrierte hervor. »Ta-ra!«, rief er und deutete auf das unscheinbare Objekt. »Wie ich bereits sagte, es hat mich eine Dreiviertelstunde gekostet, bis ich es gefunden hatte. Sie haben Glück. Die Sprechstundenhilfe stand im Begriff, sämtliche Illustrierten wegzuwerfen.«
»Die Sprechstundenhilfe? Alle Illustrierten? Sie sprechen in Rätseln, Tom! Okay, ich bin überrascht, falls es das ist, was Sie wollten, ich bin ehrlich überrascht - ich hätte nicht gedacht, dass Sie diesen Mist lesen. Was genau ist jetzt an dieser da, dass ich noch mehr überrascht sein sollte?«
»Die Sprechstundenhilfe in der Zahnarztpraxis. Sie wollte alle Illustrierten wegwerfen. Also schön, Sie erinnern sich, dass ich Ihnen erzählt habe, der Tote käme mir irgendwie bekannt vor? Dass ich ihn schon einmal gesehen hätte, lebendig, meine ich, nicht auf dem Tisch?«
Jess' schlechte Laune verwandelte sich in Ungeduld. »Ja, ja, ich erinnere mich. Ist es Ihnen wieder eingefallen?«
»Jetzt hab ich Sie am Haken, wie?« Palmer grinste sie fröhlich an. »Es hat mich gewurmt, verstehen Sie, dass ich den Kerl nicht einsortieren konnte. Sie haben nach Zeitungen gefragt, und ich wusste, dass ich sein Bild nicht in irgendeiner Zeitung gesehen hatte. Dann fiel es mir wieder ein, gestern Abend. Vor zwei Wochen war ich beim Zahnarzt, wegen der jährlichen Vorsorgeuntersuchung. Ich musste eine Weile im Wartezimmer sitzen, und wie Sie wissen, gibt es dort immer Stapel von alten Zeitschriften. Ich fing also an, sie durchzublättern. Und dabei sah ich Taylor - in einer Illustrierten, einem von diesen Hochglanz-Klatschmagazinen, in denen wir gewöhnlichen Leute gezeigt bekommen, welch ein glamouröses Leben manche Menschen führen, abseits von unserem eintönigen Alltag. Also bin ich heute Morgen gleich als Erstes zur Zahnarztpraxis gefahren und direkt rein, als sie aufgemacht haben. Die Sprechstundenhilfe dachte, ich hätte Zahnschmerzen und es wäre ein Notfall. Ich erklärte ihr, dass ich die Illustrierten durchsehen und möglicherweise eine davon mitnehmen müsste. ›Nehmen Sie alle!‹, sagte sie zu mir. ›Diese Zeitschriften sind so alt, dass niemand mehr darin lesen will. Ich wollte sie heute ohnehin zum Altpapier geben.‹ Wie dem auch sei, ich setzte mich ins Wartezimmer und blätterte sämtliche Illustrierten durch. Es war grässlich und todlangweilig, das kann ich Ihnen sagen, aber ich fand den Artikel. Hier ist er.«
Palmer schlug die Zeitschrift auf und drehte sie auf dem Schreibtisch um, sodass Jess den fraglichen Artikel sehen konnte. »Dort. Das ist er. Das ist Taylor. Gesund und munter wie ein Fisch im Wasser, aber ich bin absolut sicher, Jess, das ist der Kerl, den ich für Sie obduziert habe.«
Er tippte auf die eselsohrige Seite mit dem Farbphoto. Jess beugte sich vor, um das Bild zu
Weitere Kostenlose Bücher