Mord hat keine Tränen: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
Hause. Sie hatten keine anderen Kinder, und ich weiß den Namen von Edwards Frau nicht. Eigenartig ...« Tansy runzelte die Stirn. »Niemand in der Familie nennt bei Unterhaltungen je ihren Namen. Es heißt immer nur ›Edwards Frau‹ oder ›Montys Mutter‹. Es ist, als hätte die arme Frau keinen Namen und kein eigenes Leben gehabt.
Wie dem auch sei, damals lebten Edward und Edwards Frau ohne Namen in Balaclava House. Sie waren die meiste Zeit allein, und Monty war auf dem Internat.
In der Nachbarschaft, in einem Cottage, das zu Sneddon's Farm gehörte, wohnte eine Soldatenwitwe mit Namen Elizabeth Henderson. Das Cottage ist heutzutage nur noch eine Ruine, aber damals war es bewohnt, wenngleich die Umstände ein wenig einfach gewesen sein müssen. Jedenfalls, Mrs. Henderson wohnte dort mit ihrer jungen Tochter Penny. Sie brachte sich und Penny über die Runden, indem sie kleine Geschichten für Kinderzeitschriften schrieb. Damals gab es eine Menge mehr Kinderzeitschriften als heute, glaube ich. Wie dem auch sei, sie unterrichtete Penny zu Hause, weil sie kein Geld hatte für Schulgebühren. Ich weiß das alles, weil Tante Penny mir von ihrer Kindheit erzählt hat. Sie hat gesagt, sie wäre sehr glücklich gewesen und hätte viel Freiheit genossen.«
»Tante Penny?«, unterbrach sie Jess überrascht. »Doch nicht ...«
»Doch, genau«, schnappte Tansy. »Das ist die wahre Ironie der ganzen Geschichte. Die kleine Penny Henderson und der junge Monty Bickerstaffe wuchsen zusammen auf, und schließlich heirateten sie. Es war alles sehr unerfreulich, weil Montys Vater Edward und Pennys Mutter Elizabeth lange vorher ein Techtelmechtel hatten, eine Affäre, und eine verdammt heiße obendrein. Es muss eine ganze Weile gegangen sein mit den beiden.«
Tansy verstummte nachdenklich. »Sie waren damals alle so verdammt scheinheilig«, fuhr sie schließlich fort. »Richtig scheinheilig. Wohlanständigkeit war alles. Was nicht heißt, dass sie sich anständig verhielten - sie vertuschten nur jeden Skandal, jede schlechte Nachricht, oder das, was sie als solche betrachteten. Später stellte sich heraus, dass einige Freundinnen von Elizabeth von der Affäre wussten, aber nichts gesagt hatten. Und falls einer von den Bickerstaffes Wind davon bekommen hatte, so schwieg er ebenfalls. Niemand sprach laut über derartige Dinge. Wenn überhaupt, dann wurde in einer Ecke getuschelt. Trotzdem wussten alle Bescheid. Das ist das Scheinheilige daran. Sie dachten, dass die Angelegenheit mit der Zeit - wenn ihre Generation, die, die Bescheid wussten, erst alle gestorben waren - in Vergessenheit geraten würde. Die Jüngeren würden niemals davon erfahren, und so konnten sie es auch nicht weitergeben.«
Tansy hatte während ihres Berichts unverwandt auf die gegenüberliegende Wand gestarrt. Jetzt richtete sie überraschend ihre großen, hellblauen Augen direkt auf Jess und Carter.
»Ich weiß nicht, ob Edward und Elizabeth sich geliebt haben. Vielleicht langweilten sie sich einfach nur zu Tode in dieser gottverlassenen Gegend - Elizabeth in ihrem winzigen Cottage mit einem kleinen Kind als einziger Gesellschaft und Edward in Balaclava House mit einer faden Ehefrau, deren Name nie erwähnt wurde.«
Für einen Moment war das Stirnrunzeln wieder da. »Wenn man es genau bedenkt, dann wäre es durchaus möglich, dass Edwards Frau von den Seitensprüngen ihres Mannes wusste. Ich hätte es gemerkt, an ihrer Stelle. Auf der anderen Seite sieht es nicht so aus, als hätte irgendjemand einen Deut darauf gegeben, was sie von der Sache hielt. Sie wollten höchstens sicher sein, dass sie die Klappe hielt und keinen Skandal heraufbeschwor.«
»Vielleicht hatte sie keine andere Wahl«, sagte Carter leise. »Es war nicht so einfach damals, sich scheiden zu lassen. Sie hätte Untreue seitens ihres Ehemannes anführen können, doch das hätte sie auch beweisen müssen, und das hätte eine Menge unerwünschter öffentlicher Aufmerksamkeit nach sich gezogen. Edwards Frau hat sich davor gefürchtet, genauso wie der Rest der Familie. Geschiedene Frauen, selbst wenn sie die betrogene Partei waren, sahen sich damals einem Berg von Vorurteilen ausgesetzt. Sie riskierten, zu gesellschaftlichen Außenseiterinnen abgestempelt zu werden. Es kostete eine Menge Mut, eine Scheidung durchzustehen.«
Tansy zuckte die Schultern. »Was auch immer der Grund gewesen sein mag - niemand redete darüber. Es war ein großes Geheimnis, das die ganze Familie teilte und das vor
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