Mord im Atrium
stellte sich dem Spion erneut in den Weg. Die Menge wurde still, um zu hören, was sie sagte. Sie begriff die Situation. Ich wusste, dass sie über Gannas Behandlung erbost war, doch sie blieb gelassen und höflich, sprach in lautem Ton, damit alle sie hören konnten: »Anacrites, ich bin hier, um Ganna zu begleiten – mit dem Einverständnis von Titus Cäsar. Seien Sie bitte vorsichtig. Sie brauchen all Ihr diplomatisches Geschick. Ganna ist zu jung, um an dem Aufstand beteiligt gewesen zu sein, und ihr droht keine Hinrichtung. Dieses unschuldige Mädchen kam einzig und allein als Gefährtin von Veleda nach Rom, auch sie eine Anstandsdame. Man beabsichtigt jetzt, sie gut zu behandeln und aus ihr eine Freundin Roms zu machen. Dann können wir sie dorthin zurückschicken, woher sie kam, damit sie unter den Barbaren verbreitet, dass wir ein zivilisiertes Volk sind, das als Verbündeter betrachtet werden sollte.«
»Ich weiß, was ich tue!«, knurrte der Spion ungehobelt.
»Selbstverständlich. Aber wohin Sie das Mädchen auch bringen, ich werde bei ihr bleiben.«
Ohne auf die Antwort des Spions zu warten, kletterte Helena zu Ganna in die Sänfte. Die Sklaven warteten ebenfalls nicht auf seine Reaktion. Sie griffen nach den Tragestangen und marschierten los, eskortiert von einer Gruppe Prätorianer. Die jubelnde Menge machte Platz, um sie auf ihrem Weg hinab vom Aventin durchzulassen. Anacrites hatte vermutlich den Befehl erteilt, Ganna in irgendeine schauerliche Verhörzelle zu sperren. Mit Helena als Vermittlerin könnte das, was er an Folter geplant hatte, eine völlig andere Wendung nehmen. Für mich war Helenas plötzlicher Abgang sowohl gut als auch schlecht – doch ich musste mich um anderes kümmern.
Wütend kam Anacrites die Stufen heraufgerannt, drängte sich zwischen den restlichen Gardisten hindurch und verlangte Justinus zu sehen. Doch nachdem wir alle in den Tempel zurückgehastet waren, uns rachsüchtig gegenseitig aus dem Weg geschubst und die Priester beiseitegestoßen hatten, war von ihm nichts mehr zu sehen. In dem dunklen Innenraum – inzwischen sogar noch dunkler, nachdem die Lampen während des Gerangels ausgeblasen worden waren – hockten Clemens und die meisten unserer Männer um eine hingestreckte Gestalt. Lentullus lag am Boden, direkt vor der Statue der Diana. Sein linkes Bein sah aus, als wäre es fast völlig abgetrennt, aber Clemens hatte es angehoben. Minnius und Gaudus hielten das Bein, Paullus kniete hinter Lentullus und hielt dessen Kopf. Während sich Clemens bemühte, einen Druckverband anzulegen, sickerte Blut durch die Tunika, die er ausgezogen hatte und für diesen Zweck benutzte. Blut sammelte sich überall auf dem Steinfußboden. Die Soldaten drängten sich um ihn und riefen Lentullus’ Namen. Er gab keinen Laut von sich und rührte sich nicht.
Die Tempelgehilfen waren nutzlos, nur besorgt wegen der Entweihung ihres Heiligtums. Ein paar Gardisten gaben sich bekümmert. Mir war klar, wieso. Einer von ihnen hatte das hier angerichtet, und sie spürten bereits, dass da Schwierigkeiten auf sie zukamen. Die meisten hüllten sich in Schweigen. Alte Zenturionen wissen, was zu tun ist, wenn etwas schiefgeht. Sie würden überlegen, welche Ausrede sie sich einfallen ließen, falls es zu einer Untersuchung kam. Einige näherten sich, gaben sich hilfreich, boten an, den leblosen jungen Soldaten hochzuheben und nach draußen zu tragen.
Kurz davor, einen Mann unter seinem Kommando zu verlieren, drehte Clemens durch. »Lasst ihn! Lasst ihn in Ruhe, damit er sich stabilisieren kann, ihr Idioten! Kann mir nicht mal jemand diese mordlüsternen Drecksäcke vom Hals schaffen, verdammt.«
Ich trat näher und ließ die Gardisten am Ton meiner Stimme erkennen, wie wütend es mich machte, besonnen klingen zu müssen. »Überlasst das jetzt uns, Jungs. Am besten, ihr verschwindet von hier. Wir waren heute alle auf derselben Seite. Das sollte ein gemeinsamer Einsatz sein – oder hat euch das niemand erklärt?« Die Gardisten zeigten bereits Anzeichen von Verlegenheit und beschlossen, sich schnellstens zu verpissen. Anacrites musste sich schon vor ihnen vom Schauplatz geschlichen haben.
Clemens, der neben Lentullus kniete, versuchte immer noch verzweifelt, das Blut zu stillen. Er blickte über die Schulter, sah, dass ich näher kam, um das Problem einzuschätzen, und brüllte: »Stehen Sie nicht einfach da rum, Falco! Holen Sie Hilfe, holen Sie einen Arzt!«
XLII
B ei diesem Auftrag
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