Mord im Atrium
des blutigen, von Veleda ausgelösten Aufstands. Das barbarische Element ihres heutigen Einsatzes musste sie beunruhigen. Grimmig, vernarbt und solide gebaut wie Schlachtrinder, konnten sie es kaum erwarten, ihre Schwerter zu ziehen und gegen jemanden zu kämpfen. Das konnte jeder sein, der ihnen querkam. Diese Dreckskerle besaßen eine niedrige Hemmschwelle für Verärgerung, und wenn sie schon mal aufgebracht waren, dann waren sie nicht pingelig darin, an wem sie ihre Wut ausließen.
»Haltet euch zurück!«, befahl ich meinem kleinen Trupp. »Wir können uns nicht mit den Prätorianern anlegen.« Die Jungs blickten enttäuscht. Ich war mir nicht sicher, ob ich sie unter Kontrolle halten konnte. Clemens, unerfahren als amtierender Zenturio, sah aus, als würde er ihnen folgen, wenn sie die Führung übernahmen.
Ich hatte andere Probleme. Anacrites sprang aus seinem Transportmittel. Bevor ich sie zurückhalten konnte, stürmte Helena Justina auf ihn zu. Die Begeisterung darüber, in Vormachtstellung zu sein, hatte seinen Knöchel auf magische Weise geheilt, aber Helena sah aus, als würde sie ihm gleich die Beine wegtreten. Sie hatte ihren Bruder noch nicht entdeckt, sondern konzentrierte sich auf den Oberspion. Seit Anacrites und ich damals für den Zensor gearbeitet hatten, behandelte sie ihn wie meinen Juniorschreiber.
»Das ist doch Murks! Anacrites, ich hoffe, Sie haben einen gut durchdachten Plan zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit!« Ich bezweifelte, dass sich Anacrites irgendwelche Ordnungsmaßnahmen überlegt hatte. Um gerecht zu bleiben, er hatte es wohl für unnötig gehalten. Wie ich hatte er geglaubt, in aller Stille eine Durchsuchung vornehmen zu können, wenn der Tempel schon so gut wie geschlossen war. Jetzt hatte er entdeckt, dass hier unschuldige Mitglieder der Öffentlichkeit herumwuselten. Nach seinem Verhalten zu urteilen, interessierte ihn das einen Dreck.
Meine Stimmung erhielt einen weiteren Dämpfer. Während Justinus sich den Weg um eines der Portikengebäude bahnte, hatte er die Gardisten bemerkt und wohl erraten, wieso die hier waren. Ihm war das egal. Er duckte sich hinter einem Schwarm von Zuschauern, doch da ihm das nicht genug Deckung verschaffte, brach er durch und rannte direkt die Haupttreppe zum Tempel hinauf und in den von Säulen bestandenen Vorbau. Wir sahen ihn dabei, aber nur kurz. Obwohl es bereits Nacht war, standen die großen Türen noch als Zugeständnis an die Feiernden offen. Justinus drängte sich durch eine Gruppe von Priestern und Priesterinnen, die das Straßenfest beobachtet hatten. Sie waren zu verblüfft, um ihn aufzuhalten. Er verschwand im Innern. Lentullus folgte ihm. Niemand ging davon aus, dass sie die Uhrzeit auf der draußen angebrachten alten Sonnenuhr ablesen oder den in der Cella untergebrachten Vertrag zwischen Rom und den Städten von Latium zu Rate ziehen wollten.
»Das war Quintus!« Bevor Helena hinter ihm herlaufen konnte, gelang es mir, sie zu packen.
Anacrites gab seinen Gardisten ein Zeichen. Behindert durch die aufgeputschte Menge, machten sich die schwergewichtigen Gardisten bereit, den Tempel zu stürmen. Clemens und ich wechselten besorgte Blicke. Wir kamen zu einer Entscheidung. Er und ich zogen unsere Mäntel aus, gefolgt von den Männern der Ersten Adiutrix, die gesehen hatten, wie ihr Kamerad Lentullus das Gebäude betreten hatte, und wussten, dass er in Schwierigkeiten war. Wie ein Mann häuften wir die Kleidungsstücke auf Helenas Arme. »Ich bin wirklich nicht als das Mädchen mitgekommen, das die Mäntel hält, Marcus!«
»Tu es. Du bist eine Heldin, aber du kannst nicht gegen die Prätorianer kämpfen. Außerdem bist du diejenige, die den Preis für Mäntel kennt.« Mein Grinsen würgte ihren Protest ab. Schwankend unter dem Gewicht schwerer Winterwolle, gab sie sich fürs Erste geschlagen. »Scheint so, als sollten wir deinen Männern unter die Arme greifen«, sagte ich höflich zu Anacrites. Der Döskopp machte ein entsetztes Gesicht, als er sah, dass wir mit Schwertern bewaffnet waren. Dann stürmten wir alle durch die Menge und die Treppe hinauf, wobei wir den vor uns raufkraxelnden Prätorianern auf die Hacken ihrer großen Stiefel traten.
Jeder auf dem Aventin hat das Gefühl, von Rom getrennt zu sein. Das geht direkt auf Romulus und Remus zurück. Remus hielt damals unseren Hügel besetzt. Als sein Zwillingsbruder ihn umbrachte, wurde der Aventin aus der ursprünglichen, von Romulus vollendeten
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