Mord im Atrium
nichts mehr wie geplant. Von hier aus sah ich durch die leichte Kurve des Clivus Publicus Anacrites’ Sänfte auf uns zukommen, in der er sich vermutlich den schmerzenden Knöchel massierte. Eine kleine bewaffnete Eskorte bildete die Nachhut. Mit den paar Gardisten, die er vom kaiserlichen Dienst beim Tempel des Saturn hatte abzweigen können, wären wir spielend fertig geworden. Doch ich entdeckte verzagt, dass sich in dem engen äußeren Altarhof bereits ein größerer Trupp formiert hatte und auf die Ankunft des Spions wartete.
Clemens drängte weiter. Er hatte weder die Neuankömmlinge noch die wartende Phalanx ihrer Kollegen bemerkt. Ich versetzte ihm einen scharfen Rippenstoß. »Zurück!«
»Vermaledeite Scheiße!«, murmelte er hinter vorgehaltener Hand. Er zischte einen Befehl, und seine Jungs kamen schlitternd zum Stehen. Wir zogen uns zurück, in der Hoffnung, uns in der Menge verbergen zu können.
Kein Glück. Anacrites hatte uns gesehen. Er ließ seine Sänfte direkt neben uns anhalten. Sein geleckter Kopf tauchte durch die Vorhänge auf. »Falco! Du hattest ja so recht, und ich hätte auf dich hören sollen. Deine Voraussicht ist grandios.« Angewidert von diesem vorgetäuschten Lob, blickte ich mich nach der Ursache um. Der Spion deutete fröhlich in eine Richtung. Zwei Gestalten kamen in raschem Trott von dort, wo die Brunnenpromenade war: Lentullus, dessen Ohren an seinem geschorenen Kopf noch stärker abstanden und der atemlos hinter meinem höhergewachsenen, schnelleren Schwager hergaloppierte. »Du hast mich gewarnt, es sei falsch, ihn gefangen zu halten. Ich hätte ihn selber gehen lassen sollen. Da die Seherin nicht zu ihm kommen wollte«, trumpfte Anacrites auf, »wusstest du, dass Camillus Justinus sofort zu ihr eilen würde!«
XLI
D er Tempel der Diana Aventinensis war erbaut worden, um den Hauptgipfel des Hügels zu krönen. Nach Jahrhunderten der Alleinherrschaft hatte er sich dem Ansturm beugen müssen, als der Aventin zur beliebten Wohngegend wurde, und war dadurch seiner Dramatik verlustig gegangen. Der Anblick aus der Ferne war verloren. Der Altarhof war nichts im Vergleich zu dem großen Schlachtgelände in Ephesus, wo die noch warmen Stücke der täglichen Opferungen eine ganze Stadt ernährten. Auf dem Aventin grenzten lärmende schmale Straßen an die beiden langen Portikusflügel, und die Vorderstufen führten hinab zu einem engbebauten Durchgang, in dem der Altar bei dem normalen Hin und Her fast unterging. Es war kein Ort für einen Tumult.
Die Situation geriet zusehends aus der Kontrolle. Jede Menschenmenge spürt, wenn es gleich hoch hergehen wird. Die herumtollenden Freigelassenen erkannten sofort, dass sie unerwünschte Hindernisse bei einem offiziellen Einsatz waren. Sie jauchzten auf und machten sich daran, alles durcheinanderzubringen. Sie schwenkten ihre Freiheitskappen und begannen, die Gardisten zu verspotten, ohne auf die Gefahr zu achten.
Unter ihnen lief ein Mann herum, den ich auf der Via Appia gesehen hatte und der ständig nur einen Ton auf seiner Flöte blies, bis einem die Ohren platzten. Ich hätte ihn gerne gefragt, ob er etwas über den Flötenjungen aus der Quadrumatus-Villa wusste, konnte mich aber im Moment nicht darum kümmern.
Die Prätorianer waren nicht nur bewaffnet, sondern jeder von ihnen war ein ehemaliger Zenturio. Viele hatten es bis an die Spitze geschafft, erster Speer, Oberzenturio einer Legion, abgebrüht und knallhart. Alle waren genau das, was man von Soldaten erwartet, die ihre Dienstzeit abgeleistet hatten, es aber nicht ertragen konnten, die Armee zu verlassen. Diese Typen bettelten stets darum, ihre Dienstzeit verlängern zu dürfen. Statt dann Veteranen mit einem Stückchen Land in den Provinzen zu werden, verpflichteten sich diese knorrigen Zwanghaften für einen weiteren Einsatz bei der kaiserlichen Schutztruppe. Viele waren vorher noch nie in Rom gewesen. Mit ihrem eigenen Lager in den Außenbezirken der Stadt, das einem riesigen Offizierskasino glich, ihren legendären gehämmerten Brustpanzern und den riesigen scharlachroten Helmbüschen – ganz zu schweigen von ihrer privilegierten Stellung in unmittelbarer Nähe des Kaisers –, glaubten sie als Götter des Olymp eingesetzt zu sein.
Sie hatten selten die Gelegenheit, mehr als zeremoniellen Dienst zu tun. Ihre Stimmung war gereizt. Die meisten dieser Rabauken waren vermutlich irgendwann einmal in Germanien stationiert gewesen, einige wohl im Vier-Kaiser-Jahr während
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