Mord im Bergwald
angedeuteten Handbewegungen. »Fang mer glei amoi am Fischbachkopf o.«
Ohne ein weiteres Wort stapfte er los. Die Tiere gingen zügig, ein Tempo, bei dem die Orlowski-Truppe bald schon nicht mehr mithalten konnte. Nach etwa fünfzehn Minuten, bevor die wirklich steilen Kehren kommen würden, hielt Vitus an. Er ließ die Gruppe aufholen und gab brummig Auskunft, wo nun wer welche Menge an Pflanzen abzusetzen hätte. Die Bioladen-Lady und die Lehrerin wirkten jetzt schon derangiert, während der Heilpraktiker mit Orlowski über die Wirkung irgendeines Krauts stritt. Vitus runzelte die Stirn. Ihm war das alles zu laut. Sie setzten die ersten Pflanzen so ab, dass die Forstarbeiter sie später würden pflanzen können.
Dann ging es zurück zur Alm. Die Lehrerin rutschte auf dem kiesig-schottrigen Weg aus und polterte ein paar Meter den Hang hinunter. Vitus war in wenigen Schritten bei ihr. »Is wos passiert?« Sie schüttelte den Kopf und verdrückte ein paar Tränchen.
Es war ein Trauerspiel, Vitus verfluchte Gott und alle Heiligen. Während der Heilpraktiker der Lehrerin Arnika-Globuli eingab, kreuzten sich die Blicke von Vitus und der pensionierten Juristin. Ihr ironisches Grinsen gefiel ihm. Sie beluden erneut, und Vitus breitete seine Karte auf einem der Biertische aus.
»I glaub, mir teiln uns auf. Ihr geht's zum Lakaiensteig ummi. Wo ihr die Pflanzerl osetzn müssts, werds ihr selber sehn. Do stehn eh scho a paar Pflanzen.« Er blickte in die Runde und sah die Juristin an. »Du kimmscht mit mir, mir gehen aui auf den Grasberg mit de Viecher.«
»Gerne!« Sie hatte eine angenehme Stimme, fand Vitus.
War sowieso a Mordsweib, bestimmt schon sechzig, aber gut erhalten.
»Ich bin die Iris«, stellte sie sich mit einem sympathischen Lächeln vor.
»Vitus, aber des woaßt ja eh.«
Schweigend stiegen sie bergan. Vitus brauchte ihr nur wenig zu erklären: Iris hatte schnell kapiert, wo und wie die Pflanzen abzusetzen waren. Sie entfernte Betty einen Zweig aus dem Schweif, schnitt mit einem Taschenmesser einen Weg frei. Eine Frau, die mitdachte. Vitus entspannte sich etwas.
»Bischt eh guat z'Fuaß, oder?«, meinte Vitus auf dem Rückweg, kurz bevor sie die Hütte erreicht hatten.
»Geht so. I bin ursprünglich aus Scharnitz. Isch lang her.«
Mittlerweile waren sie beim dritten Turnus. Vitus plante nach der vierten Runde eine Mittagspause auf der Hütte. Er war versöhnt mit dem Tag, vor allem weil er Orlowski und die anderen die meiste Zeit nicht sehen und – weit wichtiger – nicht hören musste. Mit Iris hatte er knappe Sätze gewechselt. So wusste er, dass sie Staatsanwältin gewesen war. Erst in München, lange im Osten, dann wieder in München. Dass sie sich zur Ruhe gesetzt hatte und nun das Elternhaus in Scharnitz bewohnte. Und sie wusste von Vitus, dass er den Zimmererbetrieb in Krün dem ältesten Sohn übergeben hatte und als Unruheständler seine Bergbegeisterung mit seinen Tragtieren auslebte.
Vitus reichte Iris gerade eine Flasche Wasser hinüber, als vom Gegenhang ein schriller Schrei zu hören war. Es blieb kurz still, dann wehte ein »Hilfe« herüber. Vitus zog seinen Feldstecher heraus und suchte die Hänge unterm Soiernhaus ab.
»Wenn die abg'stürzt san, ham mer an Riesenärger am Oarsch«, brummte Vitus. Er warf einen Blick auf die halb vollen Tragtaschen, dann auf seine Begleitung.
»Die setzen wir noch ab«, sagte Iris. »Die haben ja Orlowski dabei, diese Koryphäe. Der wird's schon richten.«
»Guats Madl!« Vitus grinste.
Dennoch beeilten sie sich, zügig ging es talwärts, und just unterhalb der Alm, dort wo sich die Wege der beiden Gruppen getrennt hatten, trafen sie auf den Heilpraktiker.
»Vitus, so kommen Sie doch! Katja hat einen grauenvollen Fund gemacht.« Er japste regelrecht.
»Was für einen Fund?«, fragte Iris.
Sein Blick flackerte. »Einen Finger!«
»Wos?« Vitus runzelte die Stirn.
»Einen menschlichen Finger!« Seine Stimme überschlug sich.
»Hat sich von enk Deppn oaner den Finger abghackt?«, fragte Vitus ungerührt. Er lockerte die Riemen an den Packsätteln, band Zilly am Schild der Bergwacht Krün fest und ließ Betty laufen. »Wo?«, fragte er dann.
»Da oben.« Der Heilpraktiker deutete vage den Steig hinauf.
Nach zehn Minuten hatten sie die Gruppe erreicht. Katja kauerte auf einem Wurzelstock und schien unter Schock zu stehen. Die Bioladen-Lady hatte sich neben sie gehockt und murmelte beruhigend auf sie ein.
»Host ned no amoi Globuli für
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