Mord im Garten des Sokrates
auf einen Karren. Was trugen sie da bloß aus den Häusern? Ich sah es nicht gleich, mein Blick verschwamm. Als sie näher kamen, erkannte ich es aber doch. Es waren Waffen! Die Toxotai nahmen den Athenern die Waffen!
Ich hatte keine Zeit zu überlegen, welcher Plan sich dahinter verbergen mochte, denn schon kamen die Bogenschützen näher und schlugen gegen das Portal des Nachbarhauses. Die nächste Einheit würde gleich hier sein. Wenn sie mich fanden, war mein Leben verwirkt, das war gewiss. Ich stellte den Hocker weg und öffnete die verborgene Falltüre. Es war dunkel in unserem Versteck, aber ich wusste, mein alter Bogen und der alte Köcher standen gleich neben der Leiter. Hastig kletterte ich hinunter, angelte nach den Waffen, zog sie hinauf und brachte sie, so schnell es ging, in das große Zimmer. Hier mussten die Bogenschützen sie gleich finden. Mit ein wenig Glück suchten sie nicht weiter. So schnell ich konnte, rannte ich in die Küche zurück, stieg in den Keller und schloss gerade noch rechtzeitig die Falltür über mir. Schon hämmerte es ans Tor.
«Aufmachen, sonst schlagen wir die Tür ein!», brüllte der Toxotes. Ich kannte die Stimme. Ich erinnerte mich an einen Soldaten, kleiner als die meisten seiner Kameraden, schüchtern, ungelenk, freundlich.
Dann das Bersten und Splittern von Holz. Sie hatten das Tor aufgebrochen. Schon waren sie im Garten, gleich darauf flog die Haustür auf. «Los, los beeilt euch!» Eine andere Stimme – seine Stimme. Schritte polterten die Flure entlang, nach rechts zum Schlafzimmer, nach links in die Küche. Über mir knarrten die Dielen. Ich wagte kaum zu atmen. «Sieht aus, als ob keiner da wäre!» Wieder seine Stimme. Er war es, der da in meiner Küche stand und mein Haus verpestete. «Ja, die Vögel sind ausgeflogen. Haben’s mit der Angst zu tun gekriegt!», rief ein anderer. «He, ihr da, kommt mal her, ich hab’ was!» Das war der Kleine, sein Rufen kam vom großen Zimmer her. «Was ist es denn?», dröhnte es über mir. «Ein Bogen und Pfeile!» «Sucht weiter!», befahl er. «Es sieht nicht so aus, als ob hier ein Leichtbewaffneter wohnt. Der konnte sich die Hoplitenrüstung leisten!» «Die hat er sicher mitgenommen. Du siehst doch, dass hier keiner mehr wohnt!» Keine Antwort, stattdessen Schritte über mir. Sie gingen vor und zurück. Staub rieselte mir ins Gesicht. Er war unschlüssig; er dachte nach. Wusste er, dass er in meinem Haus war, im Haus seines Feindes? Ich fühlte, wie er sich umsah. Er drehte sich, er spähte, er wollte sicher sein, nichts übersehen zu haben. Zum Glück hatte ich den Hocker noch zur Seite gestellt. Tritte schwerer Schuhe, wieder knarrten die Bretter. «Ist gut, wir ziehen ab!» Ein paar Türen schlugen, Stimmen in meinem Garten. Sie gingen fort. Jetzt würden sie auch meinen alten Bogen auf den Eselskarren werfen.
Ich blieb in meinem dunklen Versteck, bis ich sicher sein konnte, dass der Hauptmann nicht irgendeinen Soldaten zurückgelassen hatte, um mich abzupassen. Ich saß auf der Leiter und starrte in die Finsternis. Es war nicht schwer zu verstehen, wieso und auf wessen Befehl die Bogenschützen unser Viertel – aber sicher nicht nur unseres – entwaffnet hatten. Die Dreißig wollten freie Hand. Eine bewaffnete Bevölkerung war gefährlich. Jetzt konnten die Spartaner abziehen, ohne dass irgendjemand den Dreißig noch gefährlich werden konnte. Ihre Anhänger und die Bogenschützen genügten, um die Stadt zu beherrschen – die Bogenschützen, ausgerechnet. Ich hatte noch im Ohr, wie Anaxos mich bei unserem ersten Treffen dafür gelobt hatte, dass ich aus den Toxotai eine so schlagkräftige Truppe geformt hatte. Aber da war noch etwas in der Dunkelheit vor mir, eine Ahnung, vielleicht eine Erinnerung an zwei Menschen, vielleicht auch der Eindruck ihrer Seelen.
Die Geräusche von der Straße verrieten die Rückkehr der Nachbarn. Die Versammlungen waren zu Ende. Ich musste den ganzen Nachmittag im Dunkeln geblieben sein, ohne es zu bemerken. Vorsichtig öffnete ich die Falltür und spähte hinaus. War wirklich keiner da, der auf mich wartete? Nein, das Haus war leer. Ich war allein. Vorsichtig schlich ich hinaus. Ich wollte sehen, was die Männer tun würden, wenn sie entdeckten, dass sie entwaffnet waren. Die zerschlagenen Tore, ihre Ehefrauen und Kinder würden es ihnen sofort offenbaren. Aber was erwartete ich? Einen Sturm der Entrüstung, einen Demos, der sich formiert, zum Strategion zieht und lautstark die
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