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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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einen kleinen Jungen durch die Straßen rennen und laut und aufgeregt rufen. Er war so außer sich, dass man ihn nicht verstehen konnte. Ich war alarmiert und kletterte auf das Dach, weil ich hoffte, ich könnte von dort oben vielleicht irgendetwas sehen. Unten in der Gasse hatte mein beherzter Nachbar Janos den Jungen angehalten. Er beruhigte ihn und sprach mit ihm. Ich konnte natürlich nicht hören, was der Junge sagte, aber ich sah, wie mein Nachbar die Hände vor sein Gesicht schlug. Schon lief die halbe Nachbarschaft zusammen und bedrängte das Kind. Die Männer schüttelten die Köpfe, gestikulierten wild, diskutierten und setzen sich endlich in Bewegung. Ich kletterte von meinem Posten herunter und rannte ihnen hinterher. Es ging zum Dromos. Sobald ich den Ersten von ihnen eingeholt hatte, fragte ich, was los sei.
    «Die Spartaner!», sagte er aufgeregt und hob die geballte Faust. «Sie entweihen den Parthenon!»
Als wir den Kerameikos hinter uns gelassen hatten, sahen wir halb Athen auf den Beinen. Wer noch gehen konnte, der drängte auf den Dromos und zur Akropolis hinauf, eine ungestüme und wilde Prozession auf dem heiligen Pfad, empört und aufgebracht. Plötzlich stoppten die Menschen. Die Leute kamen nicht weiter. «Was ist da los? Wieso bleibt ihr stehen?», tönte es aus der brodelnden Menge. Ich löste mich und schlug mich durch ein Wäldchen, bis ich mit zerkratztem Gesicht und von Pinienharz beschmutztem Chiton beinahe an der großen Treppe vor der Akropolis stand. Dort erkannte ich, wieso es nicht weiterging.
Vor den Propyläen warteten spartanische Truppen, die Speere gezückt, die Schilde grimmig erhoben. Hier kam niemand durch. Einen Schritt weiter, und es würde Blut vergossen. So standen wir uns gegenüber. Unten, am Fuß der Treppe, wir, Hunderte von Athenern, unbewaffnet und gedemütigt, über uns, auf der Zinne, ein kleiner Trupp Spartaner, gerüstet und siegreich. Und nichts geschah.
Ich habe mich seitdem oft gefragt, wieso wir sie gewähren ließen, wieso sich niemand nach einem Stein gebückt hat, um ihn den Feinden entgegenzuschleudern, die da auf unserem Tempelberg standen. Wir waren den Spartanern zahlenmäßig weit überlegen. Einem von unseren Händen geschleuderten Steinhagel hätten sie nicht standgehalten. Aber keiner tat den ersten Schritt. Stattdessen harrten wir im Gedränge aus und versuchten, unseren Vordermännern über die Köpfe zu sehen, um einen Blick nach oben zu erhaschen. Das blieb aber unmöglich, und niemand wusste, was wirklich vor sich ging. Plötzlich und wie aus heiterem Himmel setzten sich die Spartaner in Bewegung. Zwei Einheiten sprengten die Stufen herunter und fuhren in die Menge wie eine Axt in einen Holzscheit. «Gebt den Weg frei, macht Platz!», riefen ihre Hauptleute und drängten uns beiseite. Wer sich nicht bewegte, wurde niedergetrampelt. Die Athener wichen in Panik zurück, strauchelten, fielen übereinander und rutschten den Hang hinunter. Ich selbst rettete mich gerade noch zur Mauer unter dem Tempel Nikes und hielt mich an einem Vorsprung fest. Vor mir lagen etliche Männer und Frauen schwer verletzt am Boden, aber die Spartaner drängten unbeirrt und gnadenlos weiter auf die Menschenmenge ein, bis eine Gasse freigeräumt war. Dann stießen von unten her die Toxotai mit ihren Weidenruten dazu und verbreiterten mit ihren Hieben das Spalier. Wer nicht schnell genug fortsprang, den schlugen sie wahllos auf den Rücken, den Bauch und in das Gesicht, egal ob sie es mit einem Mann oder einer Frau, mit einem Kind oder einem Greis zu tun hatten. Und wieder schritt er voran, breitbeinig und roh wie ein Tier. Ich ging in Deckung, damit er mich nicht sah. Mein Herz drohte zu zerspringen, ich weiß nicht, ob aus Angst oder Wut. Das glänzende Schwert in der Hand, den Helm der Bogenschützen auf dem Haupt, befehligte er meine Soldaten, und sie folgten ihm unbeirrt, auch wenn sie Athener niederschlagen mussten. Ihre Aufgabe war es offenbar, den Weg für die Spartaner frei zu machen, und sie erfüllten sie ohne jede Rücksicht gegen die eigenen Leute.
Bis jetzt wussten wir noch nicht, was auf der Akropolis vor sich ging. Aber auch das Rätsel sollte sich lösen. Zwei Perser erschienen an der Treppe. Sie hatten vier spartanische Offiziere neben und eine Einheit einfacher Soldaten hinter sich. Die Männer zogen einen Wagen, einen großen, klobigen Ochsenkarren, den sie nur mit Mühe heil die Stufen herunterbrachten. Er war schwer beladen und drohte ihnen

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