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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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Staubwolke, die von den eisenbeschlagenen Schuhen der Spartaner aufgewirbelt wurde. Wie eine riesenhafte Herde Rinder näherten sie sich der Stadt, und doch war da keine Bewegung zu viel und kein Tritt zu schnell. Einheit um Einheit, Kohorte um Kohorte, Phalanx um Phalanx kamen sie uns entgegen, ruhig und sicher. Bald erkannten wir König Pausanias’ Zeichen auf den Standarten. Aber es waren nicht nur spartanische Fahnen, die über den Köpfen der Angreifer wehten, es waren die Fahnen der ganzen Peloponnes. Die Feldzeichen Megaras, Korinths, Mantineas und Messeniens zogen auf uns zu, ein Wald roter, blauer und grüner Fahnen vor einer gigantischen, aus Menschen, Speeren und Schilden geformten, tödlichen Wand. Ich sah mich um und erkannte die Angst in den Augen meiner Kameraden. Ich gab das Zeichen, die Sehnen anzulegen und die Bogen zu spannen.
Die Feinde näherten sich auf fünf Stadien, dann stoppten sie ihren Aufmarsch und standen bewegungslos vor unseren Toren. Mit einem Mal war es völlig still. Der Staub legte sich. Die Fahnen beruhigten sich. Ein paar Falken kreisten über unseren Köpfen und schrien. Niemand sprach ein einziges Wort. Es war, als wären die Götter für einen Moment unter uns getreten.
Doch der Angriff blieb aus. Wir alle warteten auf den spartanischen Kriegsruf und auf den Sturm auf unsere Mauern. Aber die Armeen der Peloponnes blieben unbeweglich – einen verzweifelten halben Nachmittag lang. Unsere Angreifer blieben so regungslos, dass wir meinten, keine Menschen, sondern Statuen vor uns zu haben …
Endlich löste sich eine Gruppe Reiter aus der Front der Feinde und kam langsam auf uns zu. Es waren drei Männer auf weißen Rossen. Ihre Brustpanzer und Helme leuchteten wie Gold im Licht der tiefstehenden Sonne. Zwei Stadien vor der Stadt legten sie für alle sichtbar die Waffen nieder. Es mussten Unterhändler sein. Dann ritten sie bis vor unsere Mauern. Nach einem kurzen Wortwechsel ließ man sie herein. Am Tor wartete schon eine kleine Schar Athener Reiter, die die Spartaner empfing und zur Agora begleitete. Ich sah ihnen nach, wie sie den Dromos entlanggaloppierten.
Die Fremden blieben bis zum Abend. Kurz bevor die Sonne unterging, kehrten sie zurück und verließen die Stadt auf gleichem Weg. Sie nahmen ihre Waffen auf und reihten sich, ruhig und ohne ein einziges Mal zurückzusehen, wieder bei ihren Kameraden ein. Ein rauer Befehl aus der Kehle eines alten Offiziers, und die Armeen der Peloponnes zogen sich zurück und errichteten vor der Stadt ihre Lager – eines davon, wie ich später erfuhr, auch in dem Hain, in dem ich Platon zum ersten Mal getroffen hatte.
Sie warteten. Athen wurde belagert.
Es dauerte nur einen Tag, da traf auch die spartanische Flotte ein und ging vor Piräus vor Anker. Chilon schickte mir einen Sklaven, damit ich Bescheid wusste: Lysander hielt die gesamte Hafeneinfahrt besetzt. Allein fünfzig Schiffe hatte Chilon gezählt. Der Rest der spartanischen Flotte kreuzte vermutlich in der Ägäis. Athen war eingeschlossen. Ohne den Willen der Spartaner konnte niemand herein und niemand mehr heraus. Unsere Mauern schützten uns, aber zugleich hielten sie uns gefangen.
    Ich ging jeden Tag zu den Mauern, um meine Männer einzuteilen und ihnen Mut zuzusprechen. Das Warten machte sie überheblich und zermürbte sie zugleich. Schon nach drei Tagen legten die Ersten die Bogen zur Seite. Sie begannen, auf den Zinnen Würfel zu spielen und Wein zu trinken. Als ich dazukam, zerschlug ich wütend ihre Amphoren und brüllte sie an. Sie erhoben sich unwillig und maulend, gingen aber wieder auf ihre Posten. Wir warteten, aber das spartanische Lager bewegte sich nicht; an diesem Tag nicht und nicht in den nächsten. Wohl aber standen ihre Wachen senkrecht und unbeweglich vor unseren Toren. An einen Ausfall war nicht zu denken.
    Nach vier Tagen erhielt ich den Befehl, für den nächsten Morgen alle Metöken in Waffen zum Wachdienst an der Mauer abzukommandieren. Die Prytanen hatten eine Bürgerversammlung angesetzt. Es gab ein Friedensangebot!
    Es war kurz nach Sonnenaufgang, als sich die Pnyx schon füllte. Die unpünktlichen und lauten Athener – an diesem Tag versammelten sie sich zeitig, still und ernst. Kein überflüssiges Wort wurde gesprochen. Wo sich die Männer noch vor Wochen beschimpft und angeschrien hatten, umarmten sie sich jetzt voller Mitgefühl und gaben sich den Bruderkuss.
    Theramenes erhob sich. Er war der derzeit gewählte Stratege, wenn einige auch

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