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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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lieben begonnen hatte, konnte ich mir in dieser Sache etwas sagen lassen.
Er blieb still und antwortete nicht mehr. Chilon war ein viel zu zarter Mensch, um auf meine Grobheit einzugehen oder mir, wie ich es verdient hätte, den Kopf zurechtzurücken. Stattdessen legte er mir nur ruhig die Hand auf die Schulter. Ich sollte es nun gut sein lassen. Dann stand er auf und ging an die Tür. Er rief seinen Sklaven, damit er uns Wasser und Obst brachte.
Mein Schiff lief an diesem Tag nicht mehr ein. Wir warteten vergeblich. Dafür zeigten sich am frühen Abend die Segel eines großen Frachters am Horizont, und mit dem Sonnenuntergang lief er im Kantharos ein. Das Schiff lag tief und schwer im Wasser, und weit über hundert Passagiere standen an Deck. Am Hauptmast wehte die Flagge der Kolonie Lampsakos. Als wir die Fahne erkannten, liefen wir zum Pier hinunter. Vielleicht brachte uns dieser Frachter Neuigkeiten von unseren Soldaten. Vielleicht war unsere Flotte doch nicht ganz verloren, und der ein oder andere Schiffsverband unter einem mutigen und klugen Trierarchen hatte noch einen Weg aus der spartanischen Umklammerung gefunden. Was Admiral Konon gelungen war, konnten auch andere vollbracht haben. Wie sonst, wenn nicht unter dem Schutz eines solchen Verbandes konnte ein Frachter aus einer verlorenen Kolonie unbehelligt und augenscheinlich unbeschädigt nach Athen kommen?
Das Schiff dockte an. Sobald die Leinen verknotet und die Landebrücken festgehakt waren, strömten die Passagiere von Bord. Ich hielt einen jungen Mann an, der mit seiner Frau und zwei Kindern auf uns zukam. Er machte einen verlorenen Eindruck; sein Weib schien gerade noch geweint zu haben.
«Wartet einen Augenblick», bat ich.
Der junge Mann war froh darüber, dass wir ihn ansprachen. Er hieß Hipparchos. Wie wir vermutet hatten, war er ein attischer Siedler. Offen erzählte er uns, wie die Spartaner ihn mit seiner Familie bei vorgehaltenen Speeren aus dem eigenen Haus gejagt und alle Kolonisten am Hafen der kleinen Siedlung zusammengetrieben hatten. Dort hatten sie eine Nacht zwischen Hoffnung und Schrecken verbracht. Sie wussten nicht, ob sie den nächsten Tag überhaupt noch erleben würden. Sie zitterten und bangten bis zum nächsten Vormittag. Da sei Lysander erschienen, ein Löwenfell über der Schulter, das Gesicht so grausam und entschlossen, als wäre er der Kriegsgott selbst. Zu ihrer großen Überraschung gewährte Lysander den ängstlichen Siedlern aber freies Geleit, freies Geleit bis Athen und nur nach Athen. An Besitz ließ er ihnen nichts als die Kleidung, die sie am Leib trugen. Ein Brot und ein Schlauch Süßwasser, das war alles, was die Spartaner ihnen für die ganze Überfahrt mitzunehmen erlaubt hatten. Jetzt seien die Kinder müde, hungrig und durstig, und Hipparchos, dem dies nicht leichtzufallen schien, fragte uns, ob wir ihnen nicht etwas zu essen oder ein wenig Geld geben könnten.
Ich schielte zu Chilon hinüber. Er lachte und fügte sich in sein Schicksal. Natürlich konnte er dieser mittellosen Familie seine Hilfe nicht verweigern, und ich wusste, er würde ihnen nicht nur eine Mahlzeit, sondern für die nächste Zeit sicher auch Obdach gewähren.
«Kommt mit», sagte Chilon, «ich wohne hier ganz in der Nähe. Ihr könnt bei mir essen.»
Während wir zu Chilons Haus zurückgingen, erzählte uns Hipparchos, was er von der verlorenen Seeschlacht und dem Schicksal unserer Soldaten wusste. Mit ganz leeren Händen hatte Lysander unsere Siedler nämlich doch nicht nach Attika entlassen. Der gefährlichste Feldherr dieses kriegerischen Stammes ließ nichts auf sich kommen. Er hatte die Flüchtlinge ihres Geldes, ihrer Vorräte und ihres Hausrats beraubt, aber dafür gab er ihnen etwas anderes mit ins Gepäck: Nachrichten, schreckliche Nachrichten. Hipparchos zögerte, es auszusprechen: Unsere Soldaten waren hingerichtet, niemand hatte überlebt. Lysander hatte Athen noch nicht einmal die Gelegenheit gegeben, seine Söhne freizukaufen. Die Besatzung von über einhundertsiebzig Schiffen war ermordet. Die Siedler hatten ihre Leichen vom Frachter aus an den Stränden liegen sehen. Der Sand und das Meer waren rot gefärbt vom Blut der gemetzelten Männer.
«Und euch Siedlern haben die Spartaner freies Geleit gewährt?», fragte ich kopfschüttelnd, nachdem Hipparchos seinen ersten Bericht geendet hatte.
«Ja», bestätigte er, «es kam uns selbst unglaublich vor. Die Spartaner haben uns alle auf den Frachter getrieben und Befehl

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