Mord Im Kloster
bereits die Müdigkeit des Alters eingezogen. Aber er sprach mit heller, lebhafter Stimme.
»Ich habe euch herbestellt, weil ihr mir helfen müsst. Ich kann mich an niemanden sonst wenden. London ist korrupt. In welche Geschäfte die Stadtoberen verstrickt sind, weiß niemand. Euer Präzeptor hingegen ist ein vertrauenswürdiger Mensch, er empfahl dich, Henri, wie er dich schon meinem armen Thomas empfohlen hat. Du musst den Mörder meines Sohnes finden.«
»Ich bin keiner der Gerichtsboten des Vogtes oder Stadthauptmanns, Abtvater Thomas. Ich bin nur ein Templer.«
»Das weiß ich. Aber mich interessiert im Moment nur das eine: Wer hat meinen Jungen ermordet, und wie können wir dieses Verbrechen sühnen?«
Henri nickte. Er hatte geahnt, dass es dem alten Herrn um nichts anderes ging. Aber würde er ihm auch wertvolle Hinweise geben können, die ihn auf die Spur des Mörders brachten? Was wusste er?
Der alte Mann fuhr fort. »Mein Sohn hatte viele Feinde. Als Abt des mächtigsten Klosters Altenglands und Erzabt von London ist das natürlich kein Wunder. Benediktinerklöster sind heutzutage vielen ein Dorn im Auge, weil sie zu schnell zu reich geworden sind und weil die Mönche gebildete Leute sind, die nicht nur beten. Aber nun ist ein Mord geschehen. Mord ist eine ganz andere Sache, eine neue Dimension gewissermaßen. Hier geht es um mehr als um persönliche Eitelkeiten.«
»Was meint Ihr, Ehrwürden, warum musste Abt Thomas sterben?«
Der Alte sah Henri durchdringend an. »Was glaubt Ihr denn? Ihr ward ja kurz vorher in St. Albans.«
»Die Zeit war zu kurz, um ein Bild entstehen zu lassen. Aber es muss mit dem Brief an mich zu tun haben. Mit der Warnung vor Gefahren für den Tempel. Sagt einmal, Sir – war das Kloster wirtschaftlich saniert?«
»Wirtschaftlich… Ihr meint ohne Schulden? Natürlich!
St. Albans ist ein gesunder Betrieb, der hohen Gewinn abwirft. Aber natürlich hat mein Sohn das nicht so gesehen. Er war mit Leib und Seele Geistlicher. Ihm lag nur das Seelenheil der ihm anvertrauten Konventualen am Herzen. Was stand in dem Brief?«
Henri sagte es ihm. Der Alte wiegte den Kopf. Henri sagte: »Ich glaube allerdings nicht, dass dem Tempel Gefahr droht. Ich glaube eher, Tempel und Kloster sind in den Blick von gewissen Begehrlichkeiten geraten, die es immer gab. Beide sind reich. Und Besitz weckt immer Begierden. Könnte es sein, dass St. Albans einen Teil seiner Anlagen veräußern wollte?«
»Verkaufen?«
»Oder verpachten.«
»Ich weiß zu wenig davon. Das müsstet ihr aus den Unterlagen dort herausfinden. Aber ich weiß, dass mein Sohn immer Gewinne einfuhr – die allerdings sofort wieder investiert wurden, das schreibt ja die Regel unseres Gründervaters, des heiligen Benedikt, vor. Investiert in besseres Arbeitsgerät, in Kleidung, in prächtiges Mobiliar, in ausgedehnte Armenspeisung, in ein Hospital der Umgebung.«
»Das Kloster hat also reichen Grundbesitz, aber kein Kapital?«
»Ohne dass ich das ganz genau weiß – ich würde es so sehen, ja.«
»Was war Euer Sohn für ein Mensch, Abtvater Thomas?«
»Er war ein Gottesdiener.«
»Auch Gottesdiener sind Menschen, nicht wahr?«
»Hm. Was er für ein Mensch war? Nun – er liebte das Leben. Manche sagen, er sei in das Leben verguckt gewesen. Er liebte die tausend Kleinigkeiten der Schöpfung, wenn Ihr begreift, was ich meine, mein Sohn. Mein Thomas war ein Vernarrter. Aber auch der heilige Benedikt von Nursia war ein Vernarrter. Man erzählt, er habe damals im Kloster Monte Casino auf Kosten der Brüder alles darangegeben, um das Gefühl zu haben, den Singvögeln mangele es im Klostergarten an nichts. Ist das nicht die wahre Gottesliebe?«
»Abtvater – wer hat Thomas ermordet?«
»Vielleicht die Menschen, denen Singvögel gleichgültig sind?«
»Wie meint Ihr das?«
»St. Albans ist reich, das sagten wir ja schon. Es gibt vielleicht Menschen, die das für sich ausnützen wollen. Menschen, denen das Leben im ehrlichen Glauben hinter verschlossenen Klostermauern nur das Drumherum von nützlichen Idioten ist. Könnt Ihr Euch das vorstellen?«
»Ich glaube nicht.«
»Ich glaube doch. Ihr seht doch, wie sich London verändert. Heutzutage ist ein Unternehmer mehr wert als ein Mönch. Das ist es, was ich meine.«
»Wie Ihr vielleicht wisst, befasst sich auch der Tempel mit Geldgeschäften. Wir verleihen Geld gegen Zinsen. Wir weiten ständig unsere Güter im Abendland aus und werden immer reicher. Ich selbst studiere
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