Mord Im Kloster
wusste aber, dass er eine Lösung finden musste.
Joshua sagte: »Überlegen wir uns die Sache einen Tag lang. Wenn wir schon einmal in Damme sind, könnten wir nach Brügge reiten. Niemand von uns war jemals dort. Ich hörte, sie besitzen die bedeutendste Synagoge nördlich der Alpen.«
Uthman stimmte zu. Auch Henri hielt den Vorschlag für vernünftig. So hatte auch Sean Gelegenheit, seine erhitzten Gefühle abzukühlen.
»Gut. Reiten wir nach Brügge. Du kommst mit, Sean. Schreib deinem Mädchen einen kleinen Brief. Sage ihr, wir sind am Abend wieder zurück. Morgen früh bemühen wir uns um ein Schiff.«
»Aber ich will keinen Herzschlag ohne meine Guinivevre sein!«, sagte Sean.
Henri unterband seinen Einwand. »Du kommst mit uns. Und bemühe dich, nicht wie ein junger Tölpel zu klingen. Du bist Knappe des Tempelritters Henri de Roslin! Vergiss das niemals!«
Brügge war reich und mächtig. Der englische König hatte die Stadt zur Zwischenstation für die gesamte aus England auf den Kontinent exportierte Wolle gemacht. Auch Barcas aus Cadiz und Caravellen aus Genua und Venedig landeten in den gegenüberliegenden Vorhäfen Damme und Sluis oder fuhren sogar bis zum Brügger Hafen vor. Die Oudenburg ragte mächtig auf, der Fluss Reye trennte die Stadt in zwei Hälften. Die neugierigen Besucher sahen, wie kleinere Schiffe direkt in die zentrale Markthalle vor der Oudenburg einfuhren und dort beladen und entladen wurden. Zur Fracht gehörten Seefrüchte, die sofort auf dem daneben liegenden Markt verkauft wurden. Zwei Hauptkirchen im neuen, hochfliegenden Stil ragten himmelhoch auf, das goldene Dach des Rathauses glänzte im Sonnenlicht.
Die Gefährten waren sofort von der Schönheit Brügges überwältigt. Als sie aber erfuhren, dass die dritte Stadtmauer um die kreisrund angelegte Stadt einst auf Anweisung des französischen Königs Philipp des Schönen errichtet worden war, berührte sie das in zwiespältiger Weise. Vor den Augen der Gefährten standen sofort die unseligen Geschehnisse in Frankreich, in die sie zwei Jahre zuvor verwickelt gewesen waren.
Von den Kämpfen zwischen den französischen und den flämischen Herrschern war in der Stadt nichts zu spüren. Sie hörten aber Klagen von Händlern über tägliche Scharmützel und Überfälle in den ländlichen Gebieten im Süden. Über Land zu reisen schien im Moment wenig ratsam.
Während sie auf gepflasterten Straßen durch die Stadt gingen, den mauligen Sean in ihrer Mitte, musste Henri immer wieder an seine Überlegungen denken. Welche neuen Ziele wollte er sich setzen? Immer öfter holten ihn die Gedanken an seine Zukunft und die der Gefährten ein. Er musste sich ihnen stellen. War es wirklich ratsam, nach England überzusetzen? Dort waren ja vor 26 Jahren die Juden vertrieben worden, Joshua konnte dort in große Gefahr kommen. Sollte er nicht seinen Plan wahr machen und nach Frankreich zurückkehren? Er konnte sich zumindest in der Bretagne frei bewegen. Und dort nach den versprengten Brüdern suchen.
Er wurde abgelenkt. Vor ihnen war ein Passant von einem losen Dachziegel getroffen worden, der heruntergefallen war. Es war den Gefährten schon aufgefallen, dass alle Häuser in Brügge rote Ziegeln trugen, wegen der Brandgefahr in der engen Stadt durfte kein Haus anders gedeckt werden. Der Passant blieb mit einer blutenden Kopfwunde liegen, jemand lief zum Gemeindehospital und holte Hilfe. Henri bettete den Kopf des Verletzten unter seiner zusammengerollten Überjacke. Als ein Medicus kam, gingen sie weiter.
Nach einer Weile trennten sie sich, um ihre Gebete zu verrichten. Henri und Sean suchten die Kathedrale Notre Dame auf. Henri fühlte sich hier sofort an die gleichnamige Kirche auf der Pariser Seineinsel erinnert. Überall vielfältig gebrochenes Licht, das die starken Mauern durchsichtig erscheinen ließ. Er kniete Seite an Seite mit seinem Knappen und betete inbrünstig. Auch dafür, dass er eine Lösung für Seans Probleme fand.
Als sie später mit Uthman und Joshua zusammentrafen, hatte Henri einen Entschluss gefasst. Er teilte ihn den Gefährten mit.
»Lasst uns nicht nach London segeln. Wir fahren nach Brest. In der freien Bretagne sind wir alle irgendwie zu Hause. Wir werden das Gefühl haben, gemeinsam in der Heimat angekommen zu sein. Dort fassen wir weitere Beschlüsse. Ich fühle, dass in mir die Bereitschaft wächst, mich auf dem Kontinent neuen Aufgaben zu stellen. Es ist meine Berufung. Wenn ich nicht dafür sorge,
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