Mord Im Kloster
schnell auf den Mann zu, der in einiger Entfernung stand und abwartete.
Der Mann drehte sich auf dem Absatz und rannte los.
Na warte, dachte Henri. Er spurtete hinterher. Der Mann vor ihm stieß Fußgänger zur Seite und erntete Flüche. Henri versuchte, den Entgegenkommenden, Lastenträgern und Karren auszuweichen, dadurch verlor er Zeit. In der Mitte der Strand Street, die parallel zum Fluss verlaufend die Festung des Towers mit dem Tempel verband, war der Kuttenträger plötzlich verschwunden.
Henri war gleichmäßig gelaufen und nicht außer Atem geraten, er versuchte, sich zu orientieren. Wohin konnte der andere verschwunden sein? Es gab viele Möglichkeiten. Wahrscheinlich war er einfach in einem der Durchgänge zwischen den flachen, strohgedeckten Fachwerkhäusern verschwunden. Dahinter öffneten sich ansteigend kleine Gärten, auf denen sich auch Schuppen, Lagerhäuser und Müllhalden befanden. Dann begann schon die nächste Häuserreihe mit ihren Durchgängen. Dahinter ragten die Türme der vielen Pfarrkirchen auf.
Henri machte sich klar, dass der Unbekannte auf Nimmerwiedersehen verschwunden war, wenn er sich im Gassengewirr der Stadt auskannte. Dann war es unmöglich, ihn zu finden. Wer konnte das gewesen sein? Was wollte er? Wenn er ihm seit Verlassen des Hauses in Southwark gefolgt war, dann musste er von seinem Besuch dort gewusst haben. Oder hatte er schon zuvor das Haus von Abtvater Thomas ausspioniert? Aber weswegen?
Henri ging enttäuscht weiter. Jetzt brach endlich die Sonne zwischen den dunklen Regenwolken hervor. Der Boden dampfte in der beginnenden Wärme, es roch plötzlich nicht mehr nur nach tierischen Exkrementen, sondern nach Erde und Wasser. Henri beschloss, einem plötzlichen Impuls folgend, noch nicht in den Tempel zu gehen. Die Akten mussten warten. Er wollte Jenny Sandys in der Wohnung besuchen, von der nur er wusste.
Denn in ihm war plötzlich eine Unruhe entstanden. Wenn er alles zusammennahm, was sich in den letzten Tagen ereignet hatte, ergab sich ein höchst beunruhigendes Bild. Wie passten die Teile zusammen? Und gab es eine einzige Macht, die sie zusammensetzte? War es eine Person – oder steckte viel mehr dahinter?
Ein unangenehmes Gefühl sagte ihm, dass die Gefahren, die drohten, mehr mit dem Steinmetzen John und dem Tempel zu London zu tun haben würden als mit den Geschehnissen in St. Albans. Oder – und das wäre noch schlimmer – hing beides etwa zusammen?
John Sandys war am frühen Morgen aus dem Haus gegangen. Er war dem Tempelritter unendlich dankbar dafür, dass er ihnen diese Unterkunft ermöglicht hatte. Jetzt konnte er endlich beruhigter leben, sich auf seine Arbeit in der Tempelkirche konzentrieren. Die Tage der Bedrohung waren unerträglich gewesen, und er hatte sich niemandem anvertrauen können. Auch dem Templer nicht. Denn wenn er alles erfahren hätte, dann gab es für ihrer aller Leben keinen Schutz mehr.
Jenny war jetzt in Sicherheit. Er wusste, dass ihr nun nichts mehr passieren konnte. Das würde ihm selbst Mut geben, den Erpressern entgegenzutreten.
Was konnten sie schon ausrichten, wenn sie ihre Drohungen gegen Jenny und das Baby in ihrem Bauch nicht mehr für ihre Zwecke einsetzen konnten? Nichts!
Und er selbst würde hart bleiben. Er war es Henri de Roslin schuldig, dass er den Einflüsterungen dieser bösen Menschen nicht mehr folgte. Bei Gott, er war John Sandys! Das konnten sie mit ihm nicht machen!
John war so in seine Gedanken versunken, dass er mehrmals in tiefe Pfützen trat und über einen dösenden Hund stolperte. Jemand rief ihm ein Schimpfwort zu. Er hob verwundert den Kopf. Diese Stadt wurde immer voller und allmählich unpassierbar. Sie rückte zusammen und breitete sich gleichzeitig bis in die feuchten, sumpfigen Gründe an den Rändern aus. Ein gefräßiges, unruhiges Tier, dachte John.
Er betrat den Tempelbezirk eine halbe Stunde später. Um diese Morgenzeit waren die armen Brüder Christi schon in der Klausur. Die Lieferanten waren noch nicht eingetroffen. Der große Innenhof war wie leergefegt. Nur aus dem Marstall zur Linken ertönten Rufe, Schläge auf Metall und das Wiehern der Pferde.
John betrat die Kirche. Er nahm das Murmeln der Betenden wahr. Als er sich an der Wand entlang drückte, um die Templer nicht zu stören und um über die Leitern in den Bereich der Obergaden zu kommen, da erblickte er etwas, das ihn in höchstes Erschrecken versetzte.
Er begriff mit einem Schlag, dass die Zeit der
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