Mord Im Kloster
Wahrscheinlich verdeckt von der Buchhalterung des Pultes.
Es war also doch so, wie der schlaue Javierre gesagt hatte. Er arbeitete hier ganz früh am Morgen und die gesamte Nacht hindurch.
Robin zog beide Dolche.
Auf Zehenspitzen schlich er vorwärts. Dort, wo der Lichtpunkt war, entstand ein Geräusch. Ein scharfer Strich. Dann etwas Weiches, wie ein Ausatmen. Robin war stehen geblieben. Als alles still blieb, ging er weiter.
Er machte einen Umweg. Langsam ging er zur fensterlosen nördlichen Wand, bis dorthin, wo das große Kruzifix hing. So würde er ihn von hinten überraschen.
Dann sah er den Schreiber von der Seite. Er war eigentümlich vorgebeugt, linkisch verbogen, beinahe wie verkrüppelt. Das Kerzenlicht lag auf einer Gesichtshälfte. Wahrscheinlich studierte er ganz genau den Gang seiner Feder und folgte ihrer Linie.
Robin trat hinter ihn. Noch immer merkte der Mönch nichts, er war in seine Arbeit versunken.
Robin richtete sich auf. Er war groß genug. Er reckte beide Dolche in die Höhe, so hoch er konnte.
Dann ließ er sie herabsausen. Es gab ein ekelhaftes Geräusch.
7
Frühsommer 1316, auf See
»Ja«, sagte Henri, »damals erschien uns alles rätselhaft, wir tappten im Dunkeln. Es gab Anzeichen, aber nichts Klares. Ich selbst folgte allzu lange einer falschen Fährte.«
»Es war einfach nicht zu erkennen«, sagte Joshua. »Die schlimmen Zeichen waren noch nicht zu deuten.«
Uthman ibn Umar ergänzte: »Und doch rumorte es schon damals, die Verschwörung gegen den Tempel war bereits im Gange? Und das ganze sieben Jahre, bevor sie ungeniert an die Öffentlichkeit trat? Es ist unfassbar.«
Das Handelsschiff, in dem sie nach Brest aufgebrochen waren, stand unter vollen Segeln. Eine frische Brise war seit dem Morgen angefacht und trieb sie nach Westen. Sie kreuzten die Straße von Dover.
Henri bereute seinen Entschluss nicht, den er in Brügge getroffen hatte. Seine eigenen Worte klangen in ihm nach, die er als Befreiung empfunden hatte: »Lasst uns nicht nach London segeln. Wir fahren nach Brest. In der freien Bretagne sind wir alle irgendwie zu Hause. Wir werden das Gefühl haben, gemeinsam in der Heimat angekommen zu sein. Ich fühle, dass in mir die Bereitschaft wächst, mich auf dem Kontinent neuen Aufgaben zu stellen. Es ist meine Berufung. Wenn ich nicht dafür sorge, dass der Tempel wieder aufersteht – wer soll es dann tun?«
Er hatte wieder eine Aufgabe! Und die Gefährten waren an seiner Seite! Für sie war es nur ihr Kampf, weil es Henris Kampf war. Es war ihr Kampf gewesen, solange die Untaten König Philipps und Papst Clemens’ gerächt werden mussten. Das war geschehen. Und jetzt? Uthman und Joshua spürten, dass, was immer Henri tat, sie ihn dabei nicht allein lassen wollten.
Auch Sean würde in drei Monaten zu ihnen stoßen. Dann war seine Ausbildung beendet und auch die Zeit seiner schwärmerischen Liebesprüfung. Dann musste er sich für ein eigenständiges Leben entschieden haben.
Im Kanal von Dover kreuzten viele Handelsschiffe. Der Austausch zwischen Brest, London, Brügge, Hamburg und den skandinavischen Häfen war im vollen Gange. Henri befiel der Gedanke, dass die Zukunft nicht eine des Kampfes sein würde, sondern eine des friedlichen Austausches. Neue Mächte erstarkten – die des Bürgertums, der Städte, der Produzenten. Die alten Mächte des Glaubens und des vererbten Blutes verloren schon jetzt, angesichts der aufstrebenden Märkte, ihre verborgenen Schlachten.
Also hatte der Deutschordensritter Fulco von Hahnstein Recht? Verkörperte er die neue Zeit?
Als die Sonne am höchsten stand, suchten sie Schutz unter dem Achternkastell. Sie berieten, wie sie in der Bretagne vorgehen würden. Henri wusste nicht, was aus der Komturei in Brest geworden war. Zwar war das Herzogtum Bretagne dem direkten Einfluss des französischen Königs entzogen und englisches Lehen, aber die Schergen des Königshauses schwärmten überall aus, um Templer zu jagen. Noch immer war der Schatz des Tempels nicht gefunden worden, und solange das so war, würde die Jagd anhalten.
Denn Henri wusste, dass der wahre Hintergrund für die Zerschlagung des Tempels nicht Glaubensfragen waren, sondern Geldgier. Henri wusste auch, wie viel von dem Tempelschatz in Brest lag. Er hatte für dessen Sicherstellung gesorgt. Was er nicht wusste, war, ob König Ludwig der Zehnte, den alle Welt nur den Zänker nannte, noch an der Macht war. In Brügge hatte man gemunkelt, er sei
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