Mord Im Kloster
diese Städte nicht und nicht die Kirchen. Und er wollte sie auch nicht kennen lernen. Es war ihm zuwider, etwas Neues und Schönes in sein Leben eintreten zu lassen.
Er wollte nur noch zerstören.
Wenn nicht er, der sie erneuert hatte, wer hatte dann ein Recht, sie einstürzen zu lassen?
John Sandys holte Meißel und Brecheisen unter den Abdeckungen der Planen hervor, unter denen er die letzten beiden Nächte geschlafen hatte, seit er aus St. Albans zurück war. Er hatte seine Gehilfen, die von der Bauhütte gestellt worden waren, unter Vorwänden nach Hause geschickt, die Sockel schon ausgehöhlt, einzelne Steine abgeklopft und vorsichtig gelockert, damit sie nicht vor der Zeit brachen. Eins nach dem anderen, dachte er.
Er sah zum Holzdach empor, ahnte die darin eingefassten schweren Bleiplatten, die er von einem Gerüst aus ertastet und auf ihre Festigkeit hin geprüft hatte. Das einfallende Licht durch die Reihe der Obergadenfenster blendete ihn. Es war wirklich ein außergewöhnlich strahlendes, festliches Licht an diesem Morgen.
John sah, dass unten jetzt alle versammelt waren. Die schwere Außentür der Temple Church wurde durch den Küster geschlossen. Der Boden der Kirche war dicht an dicht gesäumt vom Weiß der Umhänge, vom Rot der Kreuze. Unten begann eine Stimme zu rezitieren: »Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, meine Brüder, wird er euch in alle Wahrheit führen!« John nahm diese Worte nur wie ein Geräusch wahr, er wusste nichts damit anzufangen. Er kannte jetzt nur seine eigene Wahrheit. Es war die, die in sein eigenes Heil führte.
Als er langsam Stein für Stein aus dem unterhöhlten Pfeiler schlug, immer in Sorge, er könnte unten trotz der Lesungen und Echos der Gemeinde gehört werden, fiel ihm Jenny sein.
Er hatte die letzten Tage in dumpfer Abgeschiedenheit verbracht. Dumpf in Gedanken und Gefühlen. Kein Licht irgendeines tröstenden Gefühls war zu ihm gedrungen. Alles in ihm war bedrückt von der lähmenden Angst. Er stand jetzt allein da, und alles war aussichtslos. Er musste handeln.
Aber alles, was er tat, war falsch.
Er konnte tun, was er wollte, es zerstörte ihn.
Jenny, vergib mir, sagte eine Stimme in ihm. Sage auch unserem Kind später, es soll mir verzeihen. Ich konnte nicht anders. Wenn du es taufen lässt, damit es Anteil erhält an dem Geist, der selbst eine Gestalt des Auferstandenen ist, dann denke an mich. Wenn es aufwächst ohne mich, Jahr für Jahr, dann denke mit ihm an mein Sterben an diesem Tag.
Er schlug die nächsten Steine aus dem Sockel heraus. Im Rund des Kirchenraumes nahm das Pfingstvigil seinen Fortgang. John war dankbar für die sorglose Innigkeit der Tempelbrüder, für ihr kindliches Vertrauen in diesen Tag. Die Templer waren kindliche Gemüter.
Der Priester las jetzt nacheinander die Apostelgeschichte von der Ausgießung des Gottesgeistes, den Propheten Ezechiel über die Wiederbelebung der trockenen Totengebeine, den Psalm 22 und den Epheserbrief vor. »So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an«, sang er, und die Gemeinde wiederholte das laut.
John Sandys konnte für Momente heftiger und lauter schlagen. Er dachte daran, dass auch die Schwachheit furchtbare Taten verüben kann. Vielleicht war es gerade die Schwäche des Menschen, die ihn zerstören ließ, was andere in ihrer Stärke aufgebaut hatten.
Er schlug einen weiteren großen Stein heraus: den Siebten zählte er. Noch drei, höchstens vier, und der Pfeiler, der die Westwand trug, würde in sich zusammenstürzen. Wie viele dann starben, konnte John nicht abschätzen.
Viele. Vielleicht alle.
Was Jenny wohl gerade jetzt tat? Würde sie es spüren, was hier vor sich ging? Früher hatte sie immer alles nachempfunden. Sie war so einfühlsam, so empfindlich! Sie ahnte Dinge, die sich noch gar nicht ankündigten.
John erschrak darüber, dass sie ihm aus der Ferne zusah.
Er hörte einen Moment lang auf zu klopfen. Richtete sich auf, sah nach unten, wo die Feier ihren ungestörten Fortgang nahm. Sieh mich nicht mehr an, Jenny, dachte John, schon ganz verwirrt von den vielen Geräuschen in sich, die manchmal zu Stimmen wurden, die ihm etwas befahlen. Schau weg, Jenny. Sieh erst wieder her, wenn es getan ist. Wenn klar geworden ist, dass jede Tat, die für richtig erachtet wird, getan werden muss. Dass jedes Tun seine Konsequenz hat.
Schau auf das Ergebnis meiner Tat, Jenny, auf ihre Größe, dachte er. Schau nicht auf mich.
Soll ich aufhören damit?, dachte es
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