Mord Im Kloster
sehe das nicht so düster wie du, Henri. Ich glaube immer noch, Javierre hat ausschließlich nacktes Gewinnstreben im Sinn. Alles andere interessiert ihn nicht.«
»Ist das deine feste Meinung?«
»Er hat sich dir doch selbst in diesem Sinne offenbart. Er ist ein reicher Edelmann, der erkannt hat, dass er Macht und Reichtum in unseren Tagen nur mehren kann, wenn er auf die neuen Kräfte setzt. Wenn er die Ideen des erwachenden Bürgertums radikal umsetzt und sich dafür ganz mächtige Bündnispartner sucht – nicht nur Kaufmannsgilden. Wenn er aufkauft, Gewinn herauszieht, das Geld arbeiten lässt, und das im ganz großen Stil, auf nationaler Ebene. Ob diese wirtschaftliche Gier allerdings so weit geht, dass ganz England für den normannischen Einfluss umgekrempelt werden soll, weiß ich nicht.«
»Und dass diese Gier sogar den Tempel nicht verschont?«
»Das halte ich für ausgeschlossen. Das würde einen Putsch bedeuten, wie es noch keinen gab! Bürgerkrieg! Chaos! Der Tempel ist eine Institution, deren Säulen tief verankert sind! Der Reichtum, den sie erbeuten wollten, würde unter ihren Händen zerschmelzen!«
»Gier macht blind. Vielleicht sehen sie es nicht, was sie anrichten würden. Vielleicht können sie die Tragweite gar nicht erkennen!«
»Nein, es ist undenkbar! Wie sollte das möglich sein! Den mächtigen Tempelorden zerstören? Henri! Der Gedanke ist so unsinnig, dass ich ihn nicht zu Ende denken kann. Es ist so unmöglich, wie den Glauben in unseren Ländern umzukrempeln oder das Papsttum abzuschaffen oder den König zum Frondienst auf den Feldern von Sussex zu verpflichten! Vielleicht wünscht sich mancher dies alles, aber solche Ideen werden niemals verwirklicht.«
»Wir haben nie erfahren, woher der Abt Thomas wusste, dass gegen den Tempel etwas geplant ist. Wenn er es wirklich wusste, dann doch nur von dem Franzosen.«
»Der kann sich wichtig gemacht haben! Er wollte darstellen, welche mächtigen Leute hinter ihm stehen, dass er Auftraggeber hat, die auch vor dem Größten nicht zurückschrecken!«
Henri seufzte. »Wahrscheinlich hast du Recht. Auch ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass sie den Tempel angreifen. Aber der Gedanke erschreckt mich. Wenn der König von Frankreich und der Heilige Vater nämlich wirklich an so etwas denken, dann zerbricht alles, an das wir bisher glaubten. Das Erdenrund wird dann nicht mehr so sein wie zuvor.«
»Das ist wahr. Und weil das nicht vorstellbar ist, weil niemand außer Gott selbst sich an etwas Derartiges wagen würde, glaube ich auch nicht daran.«
»Suche nach Jenny, Neville! Finde sie! Alles andere ist im Moment ohnehin unwichtig!«
Als Neville das Krankenlager verließ, war er zu allem entschlossen. Und Henri nicht mehr ganz so mutlos wie zuvor.
Neville tat alles, was in seiner Macht stand. Als Erstes sprach er sich mit dem Sheriff ab. Er beschwor ihn, mit aller Vorsicht vorzugehen. Keiner von seinen Leuten durfte eigenmächtig handeln, sonst war Jennys Leben keinen Pfifferling wert.
Sie versuchten, so unauffällig wie möglich vorzugehen. Man schützte Belange des Lehnsrechts vor, um in die Häuser der Ortsbewohner einzudringen. Stellte neue Steuergesetze für die genossenschaftlich verfasste Dorfgemeinschaft in Aussicht und ließ diese sogar auf dem Marktplatz verkünden. Man rief die Einwohner unter fiskalischen Vorwänden in Hinterzimmern zusammen, um etwas Wichtiges zu erfahren. Die Büttel krempelten Hertford um, Haus für Haus, Stall für Stall, Kate für Kate. Die Gasthäuser wurden überwacht. Auch die umliegenden Wälder wurden abgesucht. Von Jenny keine Spur.
Auch Javierre de Bastard blieb verschwunden. Niemand hatte ihn zu Gesicht bekommen. Er hielt sich offenbar nicht mehr in Hertford auf.
Als der Sheriff die Suche für beendet erklärte, hatte Neville schon damit begonnen, nach dem unterirdischen Tunnellabyrinth zu suchen. Er begann im Kloster.
Der Abt zeigte ihm bereitwillig die Stelle, an der angeblich ein Eingang vorhanden gewesen war. Ein alter Klosterbruder wurde hinzugezogen, der mehr zu wissen schien. Er berichtete davon, dass in früheren Zeiten die Klosterbrüder des Nachts durch diese Gänge in die Brauerei geschlichen seien, um sich am dunklen Bier zu laben. Ja, es hätte sogar Gänge bis in das Dorf hinein gegeben. Dort waren nächtens Benediktiner in den Gasthöfen aufgetaucht, um Apfelwein zu trinken. Sie seien eine Plage gewesen, weil manche von ihnen darauf bestanden hatten, dass freier
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