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Mord Im Kloster

Mord Im Kloster

Titel: Mord Im Kloster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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musste Neville an eine ähnliche Situation denken, in der er gewesen war.
    Es war in Akkon gewesen. Die Stadt stand kurz vor dem Fall. Und die Festung, als letzte Bastion der Christenheit im Heiligen Land, wurde von den Sarazenen belagert, mit Steinschleudern bearbeitet, sie wankte in den Grundfesten und brach überall. Neville und Henri de Roslin waren heimlich in die Katakomben gegangen. Beide waren damals, es war jetzt neun Jahre her, Knappen ihrer Ritter. Sie hatten den tollkühnen Plan gefasst, die islamischen Gefangenen zu befreien. Sie wollten sie freilassen und mit dieser großmütigen Geste die muslimischen Belagerer von Grausamkeiten abbringen. Denn beide glaubten an die menschliche Gesinnung ihrer Feinde, und beide hatten Angst vor dem, was über sie kommen würde.
    So hatten sie in den Gängen unter der Erde die Kerker aufgeschlossen und die Leidensgestalten freigelassen. Einige konnten nicht mehr gehen. Andere waren bereits an Seuchen und Hunger und Folter gestorben. Aber die, die ihnen aus eigener Anstrengung folgen konnten, führten sie nach oben. Als sie durch die Dunkelheit der Kerkergänge stolperten, die Neville jetzt an das Labyrinth von Hertford erinnerten, hatten sie sich geschworen, gegen den Hass der Religionen vorzugehen. Nie mehr sollte es solche Elendsbilder geben. Sie waren bis zu den Treppen gekommen, die in die Festung hinaufführten. Dort warteten die Henker. Ein Verräter hatte sie alarmiert. Alle Muslime wurden in den Gängen des Kerkers erschlagen und dort einfach liegen gelassen. Und die beiden Knappen konnten froh sein, dass man sie nur nach Europa zurückschickte.
    Neville war für einen Moment unaufmerksam gewesen, stolperte und fiel hin. Er stützte sich mit den Händen ab und schrammte sich die Handflächen auf. Manche Steine im Fußboden waren spitz und scharf. Er richtete sich auf. Plötzlich stutzte er.
    Er hatte ein Geräusch gehört. Einen lang gezogenen Ton in der Ferne. Wie einen Schrei.
    Was war das?
     
     
    Ähnlich wie Neville erinnerte sich Henri in diesem Moment an das, was damals in Akkon geschehen war. Er war nur einmal in seinem Leben in einem ähnlichen Labyrinth gewesen, wie es dieses hier war. Henri hatte damals seinen Fehler eingesehen und später der Vorsehung gedankt, dass die Ritter ihn und Neville nach Europa zurückschickten. Wenig später waren Stadt und Festung gefallen und alle Verteidiger darin hingemetzelt worden. Mein Gott, er war neunzehn Jahre alt gewesen! Aber was er damals gesehen hatte, vergaß er niemals mehr.
    Henri hielt inne. Es wurde ihm bewusst, dass er in fast völliger Dunkelheit durch leere, modrige Gänge stolperte. Nur in der Ferne schimmerte Tageslicht durch Öffnungen in der Decke. Durch eine dieser Öffnungen fiel jetzt ein kleines Tier, vielleicht eine Ratte, und huschte davon. War es nicht völlig aussichtslos, nach Jenny Sandys zu suchen? Hätte man sie nicht hören müssen, wenn sich ihr Versteck hier befand? Wahrscheinlich hatte Javierre de Bastard sie längst fortgeschafft.
    Wieder hätte Henri am liebsten den Namen dieses wirklichen Bastards geschrien. Aber er beherrschte sich. Er musste seine Gefühle bezähmen. Stattdessen blieb er immer wieder stehen und lauschte in die Dunkelheit. Er hatte oft in völliger Finsternis gestanden und erlebt, dass sie zu flüstern schien. Etwas lag unter dem Dunkel, breitete sich darin aus, in der Dunkelheit waren Geräusche deutlicher zu hören.
    Henri wurde mutlos. Da er auch niemand von den Templern erblickte, glaubte er fest daran, sich im Labyrinth der Gänge verlaufen zu haben. Zumindest war dieser Teil so abgelegen, dass er Jenny niemals finden konnte.
    Plötzlich blieb er mitten im Gehen wie vom Donner gerührt stehen. Ein Gedanke war ihm gekommen. Hatte ihm nicht einst sein Ritter in den Tagen von Akkon erzählt, dass es zwei Arten von Labyrinthen gäbe? Henri versuchte, sich zu erinnern.
    Langsam fiel es ihm wieder ein. Ja, so war es gewesen.
    Das erste Labyrinth, dachte er, führt mit einem einzigen Gang zum Zentrum und wieder hinaus, ohne Wahl und Verwirrung. Der Sucher geht niemals zweimal denselben Weg. Das zweite Labyrinth, der Irrgarten, verwirrt auf mehreren Ebenen und gibt Rätsel auf. Wer nicht willkommen ist, verfängt sich darin. Die unterirdischen Gewölbe in der Festung von Akkon waren nach diesem Muster angelegt gewesen. Das Labyrinth endet oft in blinden Kammern. Um wieder herauszukommen, ist ein bestimmtes Wissen erforderlich, das nur die Erbauer besitzen.
    Henri

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