Mord Im Kloster
die eigenen Hände nehmen. Seine Feinde hatten allzu lange getan, was ihnen beliebte. Er musste Javierre finden und ihn zur Rechenschaft ziehen. Und er musste Jenny befreien.
Niemand konnte ihn aufhalten. Die Mönche baten ihn inständig darum, doch keine Dummheiten zu machen, aber sie wichen vor seinem entschlossenen Gesichtsausdruck, seiner gestrafften, hoch aufgerichteten Gestalt zurück. Es war ja, als ob dieser Tempelritter mitten im Kampf war! Welcher Sarazene hätte nicht vor ihm gezittert! Auch wenn hier nicht Jerusalem war, sondern Hertford, es galt, jeden Kampf zu gewinnen.
Henri verließ den Krankenbau und das Klostergelände.
Er ging zum römischen Kastell. Aus dem Heiligen Land wusste er, dass die wichtigsten Eingänge zu Verstecken oft an den harmlosesten Orten lagen, an die niemand dachte. So blieben sie unentdeckt. Sie waren für den Alltagsblick einfach unsichtbar. Das hatte er von den Sarazenen gelernt.
Er kannte den Eingang im Brunnen nicht und ging deshalb zu den Trümmern des römischen Kastells. Er fand den Eingang nach einigem Suchen. Die Öffnung war verdeckt von Buschwerk, aber der Gang dahinter schien unbewachsen zu sein. Henri konnte nichts Genaues erkennen, ging aber ohne Zaudern hinein.
In der Ferne hörte er Geräusche, die wie das Anschwellen und Abschwellen von Wellen klangen. Er musste einen Moment stehen bleiben, weil ihm wieder schwarz vor Augen wurde. Er atmete tief. Dann hatte er genug Kraft gesammelt und konnte weitergehen.
Er tastete sich Schritt für Schritt vorwärts. Der Gang führte tiefer in die Erde hinein. Manchmal rutschte er auf glatten Steinen aus.
Die Luft wurde immer stickiger, Fledermäuse rauschten aufgeschreckt durch die Gänge, hier war seit sehr langer Zeit niemand gewesen. Wenig später stand Henri vor einer abzweigenden Höhle. Sollte er hineingehen? Im Gang waren durch einfallendes Licht wenigstens die Wände zu erkennen, dort drinnen jedoch war es stockfinster.
Henri rief nach Jenny. Die vielen Echos erschreckten ihn, seine Stimme lief durch alle Gänge und brach sich darin, bis sie floh. Hatten die früheren Baumeister alles bewusst so angelegt, dass man sich hier unten in Notzeiten durch Zurufe verständigen konnte? Wo war Neville? Er rief auch dessen Namen. Der Name rollte dahin und verschwand in der Ferne. Wo waren die Templer, die hier angeblich etwas suchten?
Henri blieb stehen und musste nach Luft schnappen. In seinem Inneren verbanden sich Schwäche, Schmerzen und Wut. Plötzlich konnte er sich nicht mehr beherrschen und brüllte Javierres Namen.
»Javierre de Bastard! Du elender Bastard! Du sollst an deinem Namen ersticken! Wo hast du dich verkrochen? Zeige dich endlich!«
Um Henri herum waren Dunkelheit und Einsamkeit. Die Einsamkeit von Jahrhunderten. Das Schweigen der Unterwelt.
Sie suchten die Gänge ab. Die Templer hatten sich bisher in einem bestimmten Bereich bewegt und dort auch interessante Dinge gefunden. Diesen Bereich hatten sie mit bunten Bändern abgesteckt und Fundorte markiert. Jetzt zogen sie größere Kreise.
Neville stellte unaufhörlich Überlegungen darüber an, wo Javierre Jenny verborgen halten könnte. Sicher nicht in den Eingangsbereichen. Sicher nicht dort, wo die Templer sich bisher aufgehalten hatten.
Also blieben nur die Ränder dieses unendlich scheinenden Labyrinthes.
Neville verständigte sich mit den anderen Templern. Auch William Wallace hatte sich eingereiht. Neville verstand langsam, dass er einen Erfolg der Suche brauchte. Einige Tempelbrüder begannen bereits zu murren. Sie fragten sich, warum sie ihre Zeit mit der aussichtslosen Suche nach einer verschwundenen Frau vertun sollten. Ging es nicht um Höheres? Waren sie nicht vom Schicksal beauftragt, den Heiligen Gral zu suchen? Diese junge Frau mit dem wertvollen Schatz zu vergleichen, wie William das getan hatte, war falsch, vielleicht sogar lästerlich. Man konnte die Frau finden, aber dann blieb alles beim Alten. Wenn man den Heiligen Gral fand, änderte sich die ganze Welt!
Auch William spürte den Unwillen seiner Gefährten. Er trieb sie unaufhörlich an. Er war noch einmal der alte Streiter und Führer, der Männer in den Kampf führen konnte.
Während sie nun mit Fackeln bewaffnet immer weiter gingen und jetzt den Stadtrand von Hertford schon längst verlassen hatten, während Neville aus dem Staunen über die Größe des Labyrinthes nicht mehr herauskam, während sie immer wieder Jennys Namen riefen und vorwärts stolperten,
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