Mord im Nord
Mitteleinsatz sei. Er antwortete, nachdem ich schon zugegeben hätte, vor dem Fund der Leiche im Häuschen gewesen zu sein, müsse das zur Identifizierung meiner Spuren sein, was mir einleuchtete.
Im Übrigen gebe es zwar momentan keine Hinweise auf ein Gewaltverbrechen, doch ein gesunder Mann von Mitte vierzig sterbe nicht einfach so an einem Herzversagen, und schon gar nicht an diesem Ort mitten in der Nacht. Deshalb wolle er sich alle Möglichkeiten offenhalten, wozu eben auch das volle Programm der Spurensicherung gehöre. Jetzt aber solle ich mich gefälligst schleichen, ich hätte ohnehin schon zu viel mitbekommen, und er habe jetzt seine Arbeit zu tun. Ich verabschiedete mich also, wobei ich dem Beamten Stocker zusichern musste, persönlich am übernächsten Tag auf dem Polizeiposten in Trogen zu erscheinen. Ein Blick auf die digitale Uhr meines iPhones zeigte mir, dass ich es mit einem strammen Fussmarsch gerade rechtzeitig zur Abfahrt des nächsten Busses an der Haltestelle «Bleiche» schaffen würde.
Am nächsten Tag kam ich nicht zum Arbeiten. Zu sehr dominierte vor meinem inneren Auge das Bild von Hans Bärlocher, wie er da in den Zweigen des Waldrands lag, mit einem friedlichen Ausdruck auf dem Gesicht von unten staunend in die Baumkronen schaute, doch leider unübersehbar tot war.
Auch mir kam die Idee eines natürlichen Todes eher unwahrscheinlich vor. Ich hatte Hans als gesunden und fitten Mittvierziger erlebt. Und auch mich irritierte der Fundort. Gut, theoretisch hätte es sein können, dass der abendliche Fernsehempfang gestört gewesen wäre, was Hans dazu hätte verleiten können, draussen bei der Satellitenschüssel nachzusehen, ob sich das Problem allenfalls dort lokalisieren liesse. Doch erstens konnte Hans, wie er mir selbst gestanden hatte, mit Technik nicht das Geringste anfangen, was eine derartige nächtliche Expedition unwahrscheinlich machte. Zweitens hätte es dafür eine Taschenlampe gebraucht, und eine solche hatte ich jedenfalls nicht gesehen. Ich beschloss, bei meinem Polizeibesuch den Kriminalchef danach zu fragen. Die Ungewissheit darüber, auf welche Weise der Tote ums Leben gekommen war und warum, machte mir jetzt, weil ich diesen Menschen gekannt hatte, weit mehr zu schaffen als beim Fund der Leiche in der Bleiche.
Nur Grizzly, der silbergraue Kater, der eigentlich meinen Nachbarn gehört, aber die meiste Zeit bei mir verbringt, lenkte mich an diesem Tag mit besonders lautem Schnurren und ein paar Wollknäuel-Spässen von meinen trübsinnigen Gedanken ab.
Adelina kannte und mochte Grizzly ebenfalls und fragte deshalb nach seinem Verbleib, worauf er just in diesem Moment durch die eigens für ihn angebrachte Katzenklappe kroch, sich stolz aufrichtete und auf einen Schoss sprang – nicht etwa auf meinen, das ungetreue Viech, sondern auf Adelinas, wo er alsbald mit sattem Schnurren kundtat, wie wohl er sich fühlte. So lautstark übrigens, dass ich die Stimme heben musste, als ich weitererzählte.
Polizeileutnant Stocker hatte aufgrund seiner emsigen Notizen vom Tatort bereits ein Protokoll vorbereitet und ausgedruckt. Es enthielt im Wesentlichen die Geschichte, die ich Adelina eben erzählt hatte. Für meinen Geschmack war Stocker etwas übereifrig ins Detail gegangen, doch das Protokoll enthielt die Wahrheit. Wenn auch nicht die ganze.
Ich wollte schon zum Stift greifen, um das Protokoll zu unterzeichnen, als mein Blick auf die Titelzeile fiel. Da stand doch tatsächlich «Vernehmungsprotokoll mit dem Beschuldigten: Franz Eugster». Auf meine empörte Nachfrage rechtfertigte sich Stocker damit, dass es genügend Verdachtsmomente gebe. Meine Fingerabdrücke seien auf einem Glas und auf dem Laptop nachgewiesen worden – ich sei also offenkundig am Tatort gewesen und hätte die Gelegenheit gehabt, Hans Bärlocher umzubringen.
Karl Abderhalden war mittlerweile zu Stocker und mir in das Vernehmungszimmer gekommen und hatte uns offenbar schon eine Weile belauscht. Jedenfalls ergriff er jetzt das Wort und wies seinen Untergebenen darauf hin, dass im berühmten kriminalistischen Dreiklang neben Anwesenheit am Tatort und Gelegenheit zur Tat das dritte Element niemals fehlen dürfe, und das sei das Motiv. Ob er, Stocker, ein solches bei mir sehen könne, verlangte er zu wissen. Als dieser kleinlaut verneinte, wies ihn Karl an, gefälligst aus der Vernehmung eines Beschuldigten ein normales Zeugenprotokoll zu machen. Der so Gescholtene tat, wie ihm geheissen, für meine
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