Mord im Nord
Empfindung etwas gar zu duckmäuserisch, doch letztlich war mir das hierarchische Verhältnis innerhalb der Appenzeller Kriminalpolizei relativ egal. Ich war froh, als das bereinigte Protokoll endlich ausgedruckt und unterschrieben war.
Karl hatte zwischenzeitlich das Vernehmungszimmer verlassen. Jetzt erschien er nochmals kurz unter der Tür, um mitzuteilen, er ginge in den Feierabend und werde sich als Erstes einen schönen Apéro in der «Krone» nebenan genehmigen. Dabei zwinkerte er mir, von Stocker unbemerkt, verschwörerisch zu. Ich verstand den Wink, verabschiedete mich umständlich von Stocker, drehte noch zwei, drei Runden um den Dorfplatz und betrat dann die «Krone», wo Karl an einem abseits gelegenen Tisch sass, vor sich schon eine Karaffe mit einem halben Liter Weisswein und zwei Gläsern.
Karl entschuldigte sich zunächst für das forsche Auftreten seines Untergegeben. Er sei halt ein ganz Ehrgeiziger, was ja manchmal ganz gut sei, aber gelegentlich müsse man ihn bremsen.
Solange er, Karl, mich nicht verdächtige, könne ich damit leben, entgegnete ich, doch er solle mir endlich erklären, was eigentlich los sei. Vor allem hätte ich gerne eine Frage beantwortet, die mir im ersten Schock ob Stockers Verdacht gar nicht gekommen sei, obwohl sie auf der Hand gelegen habe: Wenn es einen Verdacht und Angeschuldigte gebe, so hiesse das ja wohl, dass Hans Bärlocher nicht auf natürliche Weise zu Tode gekommen sei, sondern dass ein Tötungsdelikt vorliege. Ob meine Logik wohl stimme?
Karl zog sich zunächst auf die Rolle des Chefs der Kriminalpolizei zurück, der natürlich keine Untersuchungsergebnisse ausplaudern dürfe.
Nachdem er sich eine Weile gewunden hatte, liess er sich von meinem Argument, als Freund des Toten und Finder seiner Leiche hätte ich doch wohl ein gewisses moralisches Anrecht auf Transparenz, doch überzeugen und vertraute mir unter dem bereits oft erprobten freundschaftlichen Siegel der Verschwiegenheit an, was die Polizei in diesem Fall bisher wusste.
Die Todesursache war tatsächlich und zweifelsfrei ein Herzversagen gewesen, eingetreten zwischen acht und neun Uhr abends. Die Frage war also, ob es sich um ein spontanes und natürliches Ereignis gehandelt hatte oder um eines, dem künstlich nachgeholfen worden war. Hans Bärlocher war gesund und fit gewesen, doch selbst bei solchen Menschen kommt ein unerklärlicher Herzstillstand manchmal vor, wenn auch selten.
Für Mord sprachen mehrere Indizien. Zunächst waren in dem Glas, an dem ich gerochen hatte, eindeutige Reste von Gamma-Hydroxybuttersäure, kurz GHB , im Grapefruitsaft nachgewiesen worden. Davon hatte sogar ich schon gehört. Karl bestätigte mir, dass das Zeug auch unter dem Namen K.-o.-Tropfen liefe, weil man damit, hoch genug dosiert, Leute tatsächlich flachlegen könne, und zwar so, dass sie sich nachher an nichts mehr erinnerten. Ob Hans Bärlocher allerdings tatsächlich solche K.-o.-Tropfen intus gehabt habe, wisse man leider nicht. Der Stoff habe die für Kriminalisten unangenehme Eigenschaft, sich selbst so schnell abzubauen, dass die davon noch vorhandene Menge schon nach zwölf Stunden unter die Nachweisgrenze gesunken sei. In diesem Fall seien zwischen der vermuteten Einnahme und der Laborsuche fast vierundzwanzig Stunden vergangen, also keine Chance mehr.
Auf meinen Einwand hin, GHB sei meines Wissens nicht tödlich, entgegnete Karl, das stimme, jedenfalls für gesunde Menschen wie das Opfer. Doch man habe bei der Obduktion der Leiche noch etwas anderes entdeckt, nämlich ein Einstichloch am linken äusseren Oberarm, das eindeutig von einer frisch gesetzten Injektionsnadel stamme, also von dem, was man landläufig eine Spritze nenne.
Der Verdacht liege also nahe, dass der Mörder das Opfer zunächst mit K.-o.-Tropfen betäubt und ihm dann in aller Ruhe eine Substanz injiziert habe, die zum Herzstillstand führte. Deswegen sei jetzt eine eingehende toxikologische Analyse veranlasst worden, um eine solche Substanz zu finden. Bis Ergebnisse vorlägen, würde es allerdings wesentlich länger dauern als in den Fernsehkrimis, nämlich etwa eine Woche.
Karl versprach mir, mich über die Ergebnisse zu informieren, fügte jedoch gleich hinzu, er mache sich keine grossen Hoffnungen, dass etwas gefunden werden würde. Ja, er würde mit mir nicht nur um eine Flasche guten Rotweins, sondern gleich um eine ganze Kiste wetten, dass man nichts finden würde. Es gebe sehr wohl tödliche Substanzen, die sich sehr
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