Mord im Nord
Untermalt wurde das Ganze passenderweise von Kuhglockengebimmel. Die dazugehörigen Kühe mussten ganz in der Nähe sein, doch wegen des dichten Nebels blieben sie unsichtbar.
Nachdem der letzte Ton verklungen war, blieben alle noch eine Weile in sich gekehrt stehen, ehe ich die Urne in das von mir selbst vor ein paar Tagen gegrabene Loch versenkte. Jede und jeder der anwesenden Trauergäste warf eine Handvoll feuchter Erde in das Loch, ehe ich es, wie Hans es sich gewünscht hatte, ganz mit Erde verschloss und darauf einen Baumschössling einpflanzte. Wahrlich, einem neuen Baum als Dünger zu dienen, ist kein schlechtes Ende, dachte ich, ehe ich mich zusammen mit den anderen auf den Rückweg machte. Alle waren, den Gesichtsausdrucken nach zu schliessen, froh, dass es vorbei war. Der feuchte Nebel und der bissig kalte Wind waren doch ganz schön in die Knochen gezogen, und so zerstreuten sich die Trauergäste rasch in alle Winde.
Kaum waren wir allein, begann Adelina, bohrende Fragen zu stellen. Ob ich den Begräbnisort schon früher gekannt hätte? Das konnte ich problemlos bejahen. Ob ich mit Hans zusammen schon einmal dort gewesen wäre? Ja, einmal, auch das war nicht gelogen. Ob die anderen Trauergäste den Ort auch gekannt hätten? Nicht dass ich wüsste. Sie habe einen anderen Eindruck gehabt, wandte Adelina ein, und ich musste zugeben, dass sie eine gute Beobachterin war.
Ob ich die anderen Gäste gekannt hätte? Ja, sagte ich, der etwas rundliche Typ mit deutlichem Glatzenansatz etwa in meinem Alter sei Karl Abderhalden gewesen, der Chef der Kriminalpolizei von Appenzell Ausserrhoden, der netterweise persönlich erschienen sei. Ich hatte mit ihm auf dem Parkplatz ein paar Worte gewechselt und mit ihm vereinbart, dass wir in den nächsten Tagen mal telefonieren würden. Dasselbe galt für den Marketingchef von Appenzeller Alpenbitter, den Auftraggeber für unser gemeinsames Projekt über Räusche in Appenzell. Mit ihm würde ich besprechen müssen, ob und wie es nun mit diesem Projekt weiterginge, nachdem der eine Autor unwiderruflich ausgefallen war. Das sei, erklärte ich Adelina, jener hoch aufgeschossene junge Mann gewesen, mit dem ich ebenfalls noch kurz geplaudert hatte.
Und was mit den anderen sei, begehrte Adelina jetzt zu wissen, ob ich die auch gekannt hätte? Ich verneinte, was für mindestens fünf der Anwesenden nicht wahr war. Adelina erhob umgehend Protest. Es hätte reichlich Blicke, Gesten und andere Signale gegeben, die auf eine gewisse Vertrautheit zwischen einigen Trauergästen und mir hingewiesen hätten. Offenbar hatte ich mich mehr schlecht als recht verstellt.
Adelina stellte lakonisch fest, es gebe da offenbar noch mehr Geheimnisse, und bat mich zunächst liebevoll und dann immer drängender, ihr diese zu offenbaren. Sie spüre ja, dass es mir nicht gut gehe und wolle mir nur helfen, zu welchem Behufe sie aber wissen müsse, was los sei.
Ich reagierte auf alle Spielarten ihres weiblichen Fürsorgetriebs verstockt. Sie schaute mich mit einer Mischung aus Wut und Trauer an und ging den Rest des Weges hinauf zu meinem Häuschen schweigend und immer ein paar Schritte vor mir. Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Sie hatte ja wirklich ein Anrecht darauf, alles zu wissen. Noch aber war es nicht so weit, dachte ich in jenem Moment. Das sollte sich sehr rasch ändern.
Seelenfrieden
Zu Hause angekommen ging ich gleich in die Küche, um einen kleinen Imbiss zuzubereiten. Adelina fragte mich, ob sie schnell ihre Mails auf meinem Computer checken dürfe, was ich selbstverständlich bejahte, schon, um wieder Gutwetter zu machen.
Ich hatte gerade eine Weinflasche entkorkt, als Adelina ganz aufgeregt rief, ich solle schnell kommen, es sei wieder eine dieser seltsamen Botschaften auf meinem Bildschirm. Ich eilte ins Arbeitszimmer. Tatsächlich, da war wieder ein Fenster mit blutrotem Hintergrund. Bevor ich mir das Ding genauer anschaute, bat ich Adelina aufgeregt, einen Screenshot zu schiessen, doch sie war schneller als ich und hatte schon damit begonnen. Rasch war es geschafft, und als das Fenster nach einer Minute wieder spurlos verschwand, hatten wir sie gesichert und konnten sie uns genauer ansehen.
Es war eine Art Collage im Querformat. In der Mitte war ein senkrechter, dicker Strich, der automatisch an eine Grenze erinnerte. In der linken Hälfte war ein Ausriss aus einer Zeitung abgebildet, der einen kurzen Text enthielt: «Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung schätzt, dass
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