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Mord im Nord

Mord im Nord

Titel: Mord im Nord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Giger
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Fotografie, auf welcher der genaue Platz mit einem Kreuz markiert war, lagen bei, ebenso eine vom dort zuständigen Landbesitzer unterzeichnete Einverständniserklärung. Hans hatte offenbar in den letzten Tagen seines Lebens an alles gedacht, was seinen Tod betraf.
    Polizeichef Karl Abderhalden fand zwar den gewählten Ort für die Urne etwas seltsam, doch rechtlich war nichts auszusetzen. In der Schweiz darf man eine Urne überall vergraben, wenn der Landbesitzer einverstanden ist. Mir dagegen leuchtete die Wahl dieses Ortes sofort ein, vor allem, als ich die Begründung las, er habe dort seinen Seelenfrieden gefunden. Allerdings verschwieg ich mein Wissen sowohl Karl als auch Adelina gegenüber und murmelte nur etwas davon, des Menschen Wille sei sein Himmelreich, vor allem natürlich angesichts desselben.
    Zum Eingraben der Urne sollten nach dem letzten Willen von Hans alle Menschen eingeladen werden, die in seinem digitalen Adressbuch standen, was, wie schon erwähnt, nicht mehr als zwei Dutzend waren. So geschah es denn auch.
    Etwas enttäuscht war ich darüber, dass sich Hans ausdrücklich jegliche Form von Trauerreden verbeten hatte. Immerhin wäre das für mich wieder mal eine Gelegenheit für eine halb öffentliche Ansprache gewesen, und ich höre mich nun mal gerne reden. Doch bei näherer Betrachtung war ich über dieses Schweigegebot ganz glücklich, denn mal ehrlich, was lässt sich schon Sinnvolles über die Sinnlosigkeit eines zu frühen und dazu noch gewaltsamen Todes sagen?
    Das Schweigegebot sollte durchgängig gelten, vom Abmarsch vom Parkplatz bis zur Rückkehr dahin. Hingegen hatte sich Hans gewünscht, dass jemand einen tragbaren Musikplayer mitnehme, auf dem der letzte Satz von Beethovens sechster Symphonie, der berühmten «Pastorale», gespielt werden sollte. Diese Wahl erstaunte mich nicht. Ich hatte mit Hans einmal ein längeres Gespräch über diese Symphonie geführt, vor allem darüber, warum sie eigentlich hervorragend zum Appenzellerland passt.
    Hans wusste viel über Musik und erklärte mir, Beethoven selbst habe die Pastorale mit «Erinnerungen an das Landleben» überschrieben, weshalb sie oft auch einfach «die Ländliche» genannt wird. Sie gehöre schon immer zu seinen Lieblingsmusikstücken, wobei sie für ihn am besten zur ruhig-frischen Stimmung eines Sonntagvormittags passe.
    Nach diesen Erklärungen entspann sich rasch eine animierte Diskussion darüber, was eine zweihundert Jahre alte Musik noch über das Landleben von heute zu sagen habe. Diese Frage erübrigte sich, als wir feststellten, schon damals habe die Musik ja nicht ein real existierendes Landleben beschrieben, sondern sei Ausdruck einer sehr städtischen Sehnsucht nach einer ländlichen Idylle gewesen, die als Gegenentwurf zum lärmigen und hektischen Stadtleben eine friedvolle heile Welt verkörpert, in der Heiterkeit und Fröhlichkeit herrschen.
    Diese Sehnsuchts-Idylle hatte schon damals nichts mit dem harten und entbehrungsreichen Leben der tatsächlichen Landbewohner zu tun. Wie also sollte sie etwas mit den heutigen Realitäten des Landlebens zu tun haben können?
    Schon allein die Vorstellung, es handle sich beim Landleben um eine totale Gegenwelt zum Stadtleben, ist heutzutage natürlich absurd, denn in den meisten Lebensbereichen ähneln sich die beiden Welten. Auch im Appenzellerland lebt nur noch eine kleine Minderheit von der Landwirtschaft, der grosse Rest übt andere Berufe aus, alle haben Zugang zu den üblichen Konsumgütern und Dienstleistungen, zu Mobilität und Kultur. Und in der heutigen digitalen Welt spielt es bekanntlich keine Rolle mehr, wo ein Computer steht.
    Wir waren uns auch darüber einig, dass es durchaus noch Unterschiede gibt, nämlich jene, derentwegen wir uns für das Landleben entschieden hatten. Es gibt im Appenzellerland bessere Luft und weniger Lärm, mehr weite Landschaft und weniger Hektik. Nachts ist es dunkler, sodass man – wenn nicht gerade wie in diesen Tagen die Wolken hängen – die Milchstrasse sehen kann. Und es gibt eine geringere Dichte an Menschen und weniger Reizüberflutung, was für manche Menschen, wie eben zum Beispiel uns, eine Wohltat ist.
    Die Suche nach solchen Unterschieden führte uns auf einen interessanten Seitenpfad: Früher hiess es, Stadtluft mache frei, weil die soziale Kontrolle in der Stadt weniger ausgeprägt ist als auf dem Land. Allmählich drehen sich die Verhältnisse. Angesichts omnipräsenter Überwachungskameras und schnell

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