Mord im Nord
bereits 2015 die Hälfte unserer Nahrungsmittel ‹Functional Food› sein wird – also Produkte, die uns versprechen, wir würden durch den Konsum schöner, gesünder oder leistungsfähiger.»
In der rechten Hälfte war ein Ausschnitt aus einem Kreuzworträtsel abgebildet. Mit gelbem Marker war die Anweisung «13 – senkrecht» hervorgehoben. Sie hiess: «Biblischer Prophet – umgekehrte Buchstabenfolge». Zudem sah man, dass das fragliche Wort vier Buchstaben enthalten sollte. Und dass der letzte Buchstabe ein «a» sein müsse.
Adelina hatte mit ihrem Recherchetalent innerhalb von Sekunden eine Liste aller Propheten mit vier Buchstaben gefunden. Die Liste war kurz, und nur ein Name hatte ein «A» am Anfang: Amos. Woraus sich durch Umkehrung «Soma» ergab. Schon hatte Adelina die entsprechende Seite von Wikipedia geöffnet, wo Folgendes stand:
«Soma ist ein im Rigveda erwähnter Rauschtrank der Götter. Es handelte sich um den berauschenden, teilweise mit Milch oder mit saurer Milch gemischten Saft einer Pflanze. Der Name bezeichnet eine Gottheit, eine Pflanze und den daraus bereiteten Trank.
Soma wird manchmal als irdische Entsprechung von Ambrosia in der griechischen Mythologie gedeutet. Während die letzteren beiden den Göttern vorbehalten sind und ihnen Unsterblichkeit verleihen, kann Soma auch von Menschen getrunken werden. Die damit verbundenen Halluzinationen wurden als Zugang zur Sphäre der Götter interpretiert.
Die Wirkung des Somasafts wird im Veda wie im Avesta als mad bezeichnet. Übersetzt man dies mit ‹berauschen›, so ist das fast zu viel gesagt, mit ‹begeistern› zu wenig. Von einer eigentlichen Somatrunkenheit kann nicht die Rede sein, noch weniger von einem orgiastischen Somakult. Dazu ist das ganze Opferzeremoniell der Inder und der Parsen zu feierlich und würdevoll-steif.
Die Wirkung des Soma wird körperlich und psychisch empfunden. Dem Kämpfer belebt er den gesunkenen Mut, dem Menschen bringt er Kraft zum Leben. Vor allem aber wirkt er auf das Innere Wesen und den Geist des Opfernden ein. Er erleuchtet und weitet das nach Wahrheit suchende innere Auge des Sehers, weckt die heiligen Worte und Gedanken. Das Soma wird als der eigentliche Göttertrank bezeichnet, der sie (die Götter) vom Himmel herruft und einlädt. Zusammenfassend kann man sagen, dass vom Soma körperlich stärkende, das Herzen belebende und Gedanken klärende Wirkungen ausgingen. Sie halfen dem Rishi (Seher, mythischer Weiser) mit einem intuitiven Verstand eine jenseitige Wirklichkeit zu erfassen und diese in seiner Dicht- und Gesangskunst auszudrücken.
Bestimmte Textstellen im Rigveda lassen für sich allein betrachtet den Leser an die Wirkung von Halluzinogenen denken. ‹Wir haben das Soma getrunken; wir sind unsterblich geworden, wir haben das Licht gesehen; wir haben die Götter gefunden.› Oder: ‹Deine Säfte, o gereinigtes Soma, alles durchdringend, schnell wie Gedanken, bewegen sich von alleine wie die Nachkommen rasch dahineilender Stuten. Die himmlischen, geflügelten süssen Säfte, Erreger grosser Heiterkeit, erstrahlen im Gefäss …› Ein weiterer Hinweis steckt im Rigveda: ‹Denn nun in deinem Rausche, o Soma, komme ich mir wie ein Reicher vor. Schreite vorwärts zum Gedeihen!›»
Adelina las den Text kurz durch und schaute mich an. Ob das ein Hinweis auf Drogenhandel sei, wollte sie wissen. Das konnte ich guten Gewissens verneinen. Doch offenbar war ihr nicht entgangen, dass mich der Hinweis auf Soma nicht überrascht, wohl aber erschreckt hatte, was sie mir auch auf den Kopf zusagte. Ich gab mir einen Ruck und versprach ihr, das bisher streng gehütete Geheimnis gleich zu lüften.
Zunächst schlug ich jedoch eine Stärkung vor. Ich holte ein sorgsam gehütetes grösseres Stück Appenzeller Käse aus dem Kühlschrank, schnitt davon zwei Portionen von je ungefähr fünfzig Gramm ab und servierte den Käse ohne weitere Beilagen. Ich schlug vor, den vorgesehenen Wein später zu trinken. Adelina schaute darob leicht erstaunt, doch sie kaute brav ihren Appenzeller, der ihr, wie sie versicherte, wie immer hervorragend schmecke.
Wir plauderten eine ganze Zeit über dieses und jenes, ohne das heikle Thema Soma zu streifen. Nach einer knappen Stunde fragte ich Adelina ganz harmlos, wie sie sich fühle. Sie horchte eine Weile in sich hinein und sagte dann, sie wisse natürlich, dass ihre Wortwahl vom letzten Willen von Hans Bärlocher beeinflusst worden sei, doch sie finde tatsächlich
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