Mord im Nord
ich mit ebenso viel Toleranz rechnen durfte wie Heiri. Doch als ich sagte, auch ich spüre eine deutlich wahrnehmbare Veränderung meines geistig-seelischen Grundzustands, und zwar eine sehr angenehme, entsprach dies der Wahrheit.
Die anderen berichteten jetzt ausnahmslos, es handle sich um eine zwar unerwartete und deshalb etwas seltsame Erfahrung, doch eindeutig um eine positive. Zu deren Beschreibung verwendeten sie ganz ähnliche Worte, wie sie Adelina eben benutzt hatte. Heiri, der sich im Laufe seines langen Lebens auch intensiv mit Theologie und Psychologie befasst hatte, war es schliesslich, der die Erfahrung auf den Punkt brachte: Seelenfrieden. Niemand fand ein besseres Wort für die eben gemachte Erfahrung, die nach etwa einer halben Stunde sanft ausklang.
Nur einer hatte die ganze Zeit geschwiegen. Nennen wir ihn mal Herrn Ehrensberger. Herr Ehrensberger ist, so viel muss zum Verständnis der weiteren Geschichte verraten werden, ein hohes Tier bei der Firma, die Appenzeller Alpenbitter herstellt. Da dieser Alpenbitter bei der Produktion der Kräutersulz für den Appenzeller Käse eine wichtige Rolle spielt, ist es nur logisch, dass ein Vertreter dieser Firma im Bewahrungskomitee für deren Geheimrezept vertreten ist.
Herr Ehrensberger war während des Gesprächs der übrigen Komiteemitglieder zunehmend blasser geworden, was nicht unentdeckt blieb. Zur Rede gestellt, bat er darum, die Reste des getesteten Käselaibs genauer prüfen zu dürfen. Er brauchte nur einen Blick, um noch mehr zu erbleichen, und begann dann stockend seine Beichte.
Da sei von seiner Firma offenbar ein falscher Käselaib zum Test durch das Bewahrungskomitee angeliefert worden. Seine Firma liefere ja aus Tradition jeweils die zu testenden Laibe aus ihren eigenen Lagerbeständen, die sie für gute Kunden immer gut gefüllt hätten. Doch so etwas sei ihm noch nie passiert. Eine Schlamperei sei das, regte er sich kurzfristig auf, um dann gleich um Verständnis zu bitten. Sie hätten im Moment personelle Engpässe und erst noch Probleme im Computersystem, und da könne so was schon mal passieren.
Adelina fiel mir an dieser Stelle ins Wort, weil sie wissen wollte, warum der vom Geheimkomitee zu testende Käse von der Firma Alpenbitter geliefert wird und nicht von Appenzeller Käse. Ich erklärte ihr, die Sortenorganisation Appenzeller Käse sei eine virtuelle Firma, die sich um Qualitätskontrolle und Vermarktung kümmere, jedoch selbst keinen Käse produziere und deshalb auch über keine geeigneten Lagerräumlichkeiten verfüge. Da es zu mühsam sei, die zu testenden Laibe direkt von den einzelnen Käsereien zu beziehen, habe man die Lösung mit der Alpenbitter-Firma gefunden, die als Produktionsunternehmen sowohl Kühlräume als auch die nötige Logistik anbieten könne.
Adelinas scharfsinniger Verstand war befriedigt, und so fuhr ich mit meiner Erzählung fort: Wir übrigen Komitee-Mitglieder wollten endlich wissen, was es denn mit diesem falschen Käselaib auf sich habe. Herr Ehrensberger erklärte, der fälschlicherweise von uns heute gekostete Laib gehöre zu einer kleinen Charge von höchstens einem Dutzend Käselaiben, bei denen ein Fehler passiert sei und die nur zur Abklärung der Hintergründe noch aufbewahrt wurden, niemals aber für den menschlichen Verzehr gedacht gewesen wären. Jemand müsse da zum falschen Stapel gegriffen haben, und das täte ihm furchtbar leid.
Erst nach hartnäckigem Nachfragen rückte Herr Ehrensberger dann damit heraus, um was für einen Fehler es sich gehandelt hatte. Es gäbe da eine kleine Käserei, die Appenzeller Käse produziere, dabei aber leicht vom Originalrezept abweiche. Der betreffende Käser – es handle sich um einen Einmannbetrieb – würde seinen Appenzeller nicht nur wie vorgesehen mit der Kräutersulz einreiben, sondern die letzten sieben Wochen der Reifezeit zusätzlich noch mit Appenzeller Alpenbitter. Dieses Treiben könnte man ihm zwar theoretisch verbieten, doch da sein Käse in allen Geschmackstests immer hervorragend abschneide und sehr beliebt sei, wolle niemand, dass es da zu Konflikten komme, die rufschädigend an die Öffentlichkeit gelangen könnten.
Entsprechend könne der betreffende Käser mit stillschweigendem Einverständnis aller Beteiligten weitermachen, und sie, also die Firma von Appenzeller Alpenbitter, hätten ihm deshalb auch immer ohne Bedenken die benötigten Mengen des Alpenbitters direkt geliefert. Dabei sei vor einigen Monaten ein ähnliches
Weitere Kostenlose Bücher