Mord im Nord
glaube durchaus daran, dass man in diesen Kreisen ein Projekt wie «Soma» gerne verschwinden lassen würde, doch sie bezweifle, dass diese Kreise zu einem so drastischen Mittel wie Mord greifen würden. Wem aber käme eine solche Marktbereinigung sonst noch zugute?
Erst als wir wieder einen Schluck getrunken und einen Zug aus der Pfeife genommen hatten, kamen wir darauf: Die Pharmaindustrie. Natürlich, jemand musste das Zeug produzieren und liefern, mit dem die Nahrungsmittel mit den zusätzlichen Heilsversprechen «angereichert» wurden, und dieser Jemand war die Pharmaindustrie. Auch ihr winken zweifellos riesige Gewinne, wenn sich der Markt für industriell gefertigtes «Functional Food» ausweitet.
Der Pharmaindustrie trauten wir es eher zu, ihre Interessen notfalls auch mit einem Mord zu verteidigen. Natürlich so, dass nie etwas nachzuweisen sein würde. Und selbst wenn ein Schatten auf sie fiele, so wäre sie davon weniger betroffen. Die meisten Menschen rechnen im stillen Kämmerlein eben doch mit der Möglichkeit, ein Pülverchen aus deren Labors könnte mal ihr Leben oder doch wenigstens ihre Gesundheit retten, und deshalb schauen sie bei der Pharmaindustrie weniger genau hin als etwa bei der Nahrungsmittelindustrie. Und so ist die Pharmabranche wesentlich resistenter gegen Skandale als andere.
Adelina fiel noch ein weiteres Argument ein: Wer hätte den leichteren Zugang zu einem nicht nachweisbaren Gift als eine Pharmafirma?
Das war zwar jetzt geklärt, half uns jedoch nicht sehr viel weiter. Wir hatten immer noch keine Ahnung, wer konkret der Absender der Drohung war. Geschweige denn, wie es jetzt weitergehen sollte.
Uns brummte beiden der Schädel, weshalb wir beschlossen, eine Pause einzulegen. Das behagte auch Grizzly, der sich wegen unserer für sensible Katzen offenkundigen Unruhe und Aufgeregtheit bisher abseitsgehalten hatte und jetzt die Aussicht auf ein gemütliches Nickerchen in einem Schoss witterte. Er wählte natürlich wieder jenen von Adelina, und auf dem Weg dahin warf er ein Buch um. Es war die Dorfchronik von Wald, in der ich die ersten Hinweise auf Grenzziehungen gefunden hatte.
Adelina hob das Buch auf, öffnete es an der Stelle über den Leichenfund in der Chotzeren, die ich mit einem Buchzeichen markiert hatte, und blätterte von dort aus ein wenig vor- und rückwärts. Da sei von einem Sutterhandel die Rede, im Zusammenhang mit Grenzkonflikten zwischen Inner- und Ausserrhoden. Was es damit genau auf sich habe. Dann schalt sie sich selbst eine Närrin, hob Grizzly, der sich das nach einem mürrischen Miau gefallen liess, auf meinen Schoss, eilte zum Computer und kam nach kurzer Zeit mit einem Ausdruck zurück, den sie mir dann vorlas, sehr zu meinem Entzücken, ihrer Stimme wegen natürlich, nicht des Inhalts:
«Der Sutterhandel (1775 – 1784)
Aufklärung und gesellschaftlicher Wandel am Ende des Ancien Régime
Der Sutterhandel, eine der wichtigsten Begebenheiten der Innerrhoder Geschichte, zeigt in exemplarischer Weise das Einsetzen eines – wenn auch zaghaften – gesellschaftlichen Wandels im Zeitalter der Aufklärung. Anton Joseph Sutter (1720 – 1784) wuchs auf einem Bauerngut im Lehn bei Appenzell auf. Um 1753 zog er mit seiner Familie ins Gontenbad, wo er als Badmeister und Wirt wirkte. Dank seines leutseligen Wesens erwarb er sich bald einen grossen Freundes- kreis. 1760 wählte ihn die Landsgemeinde überraschend zum Vogt in der Landvogtei Rheintal. Da Sutter bei der Wahl in dieses lukrative Amt mehrere altgediente Amtsleute ausstach, machte er sich als sozialer Aufsteiger viele Neider und Feinde.
Nach seiner Rückkehr aus dem Rheintal wurde Sutter 1762 zum Landammann gewählt, ein Amt, das er bis 1775 ausübte. In dieser Zeit geriet er zunehmend in Konflikt mit der eingesessenen Führungsschicht, die nur darauf wartete, die Laufbahn des Emporkömmlings zu beenden. Gelegenheit dazu ergab sich, als Sutter um 1767 auf den Gedanken kam, die hintere Alp Sämtis, welche dem Hof Oberriet gehörte, in den Besitz Innerrhodens zu überführen und sich bei dieser Gelegenheit selber zu bereichern. Trotz des gut dotierten Amtes als Landvogt litt er nämlich unter finanziellen Problemen. Aus einfachen Verhältnissen stammend, hatte er für einen standesgemässen Auftritt grosse Geldsummen ausgeben müssen. Arglistig liess man ihn zunächst bei seinem unlauteren Vorgehen gewähren. Nachdem die bedrängten Oberrieter von den eidgenössischen Orten jedoch einen
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