Mord im Nord
der bei Buff in Arbeit gestanden und mit ihm den Judasstreich verabredet hatte. Hier wurde Sutter sogleich gefänglich eingezogen.›
Am 9. Februar führte man Sutter auf einen Schlitten gebunden über Altstätten nach Appenzell, und am 19. März 1784 wurde der während der Gefangenschaft gefolterte Mann zum Tode verurteilt. Nach der Rückkehr von der Richtstätte entlud sich der Zorn der Ausserrhoder gegen die Oberegger. Schlimm erging es dem Kronenwirt, der zum Verräter gestempelt wurde. Der Chronist berichtet:
‹Der Hauptmann Buff von Wald erhielt für seinen Judasstreich den verdienten Lohn, seine Gemeindsgenossen verlangten schon am ersten Sonntag nach dem Verrat eine Kirchhöri, um ihn seines Amtes zu entsetzen, indessen begnügten sie sich einstweilen mit der von Seite des Gemeinderates angeordneten Suspension, den Sonntag nach Sutters Hinrichtung aber wurde der Hauptmann einhellig lebenslänglich seiner Stelle entsetzt, sein sonst gut besuchtes Wirtshaus wurde gleichsam zur Einöde, er fand darin keine Sicherheit mehr, man schlug ihm die Fenster ein, ohne dass er sich deshalb beklagen durfte, sonst glücklich und wohlhabend, hatte er von Stund an keinen Segen mehr und starb arm und verachtet.›»
Grizzly war mittlerweile wieder zu Adelina hinübergewechselt und gab der Zufriedenheit mit seiner Platzwahl durch lautes Schnurren Ausdruck. Adelina und ich tauschten ein paar scherzhafte Bemerkungen darüber aus, was früher in diesem Kaff alles los gewesen sei. Dann wurde sie ernst und meinte, es sei schon ein seltsamer Zufall, dass gerade jetzt durch Grizzlys Hinweis auf die Dorfchronik die Geschichte um einen Verräter aufgetaucht sei. Ob ich mich eigentlich auch schon gefragt hätte, wie der Absender der Drohung auf mich als Adressaten gekommen sei?
Klar hatte ich. Ich hatte mir sogar schon den Kopf darüber zerbrochen. Zuerst hatte ich wieder an einen Einbruch in meinen Computer über das Internet gedacht, das war ja möglich, wie ich gerade wieder erlebt hatte. Nur war da nichts zu klauen, weil nichts zu finden. Unser «Geheimbund» war geheim – so viele Reste der ursprünglichen Idee mussten sein, und deshalb verkehrten wir untereinander von raren und gut getarnten Ausnahmen abgesehen auch nicht per Mail, sondern trafen unsere Verabredungen persönlich oder höchstens per Rundtelefon. Ein solches Ausnahme-Mail hatte es seit dem Test von Appenzeller Secret nicht mehr gegeben, weshalb die Polizei auf dem neuen Computer von Hans auch keinerlei Hinweise auf seine Zugehörigkeit zum namenlosen «Geheimbund» gefunden hatte.
Über diesen Test gab es schon gar nichts Digitales. Und seit den mit meinem letzten Fall verbundenen unliebsamen Erfahrungen waren die Sicherheitsmassnahmen meines anderen Geheimbunds, des Bewahrungskomitees, noch einmal deutlich verschärft worden. Vom Projekt «Soma» wussten nur die Mitglieder des Bewahrungskomitees, meine Testpersonen vom «Geheimbund» hatten keine Ahnung davon, wie der Appenzeller Secret hergestellt wurde.
Von der Existenz von «Soma» selbst wussten einige Angehörige der Firma von Herrn Ehrensberger, doch die wiederum hatten keine Ahnung davon, was bei der Käsereifung daraus geworden war. Oder doch? Hatte jemand bei Appenzeller Alpenbitter zunächst die falsche Flasche für den Käser und dann den falschen Laib für das Bewahrungskomitee bewusst eingeschmuggelt? Unwahrscheinlich, aber möglich. Doch selbst dann ergäbe es keinen Sinn, wenn jemand alles tut, um die Entstehung von Appenzeller Secret zu ermöglichen und zu fördern, und dann der Gegenseite die nötige Munition liefert, um das Projekt zu verhindern.
Adelina fasste zusammen, dass unser Gegner, wie sie ihn jetzt nannte, sein Wissen durch Datenklau beschafft haben könnte, sei weitgehend ausgeschlossen. Dass jemand aus dem Bewahrungskomitee gesungen habe, sei sehr unwahrscheinlich. Schliesslich winke durch das Projekt ja ein gutes Geschäft, was der Firma Gewinn und dem Komitee Reputation einbrächte. Gut, keine öffentliche, sie durften ja über ihre Rolle nicht plaudern, doch das stille Sonnen in der eigenen Bedeutung, sei es vor dem Spiegel oder in der geschlossenen Runde ihres Geheimbundes, sei ja doch auch schon einiges wert.
Abgesehen von der ebenfalls sehr unwahrscheinlichen Möglichkeit, dass ein Dritter, etwa bei der Alpenbitter-Firma, beteiligt sein könnte, bliebe also nur eine Erklärung: Jemand von den Testessern war der Maulwurf, der Judas, der Verräter, um die Begriffe aus
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