Mord im Nord
Richtspruch erlangt hatten, der zu ihren Gunsten ausfiel, wurde Sutter fallen gelassen. Entgegen herkömmlichem Landrecht enthob ihn der Landrat 1775 mit sofortiger Wirkung von seinem Amt als Landammann. Als er sich darauf für einige Zeit auf Wallfahrt nach Einsiedeln begab, interpretierte der Landrat die Landesabwesenheit als Eingeständnis landesverräterischer Umtriebe und verurteilte ihn zu hundertundeins Jahren Verbannung aus der Eidgenossenschaft. Aufgrund dieser Vorfälle übersiedelte Sutter zunächst ins Thurgau, dann nach Süddeutschland.
1783 brachte die Obrigkeit Sutters Schwager Baptist Räss durch harte Haft und Verhöre dazu, ihn durch Falschaussagen noch stärker als Verräter zu belasten. 1784 wurde Sutter durch falsche Zusagen ins Appenzellerland gelockt und verhaftet. Obwohl er auch unter Folter seine Unschuld beteuerte, verurteilte ihn der Landrat zum Tode. Das Urteil wurde im selben Jahr unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollstreckt. Hundert Soldaten hatten mit aufgepflanzten Bajonetten dafür zu sorgen, dass niemand den Strafvollzug störte. Damit war Sutter zwar beseitigt, der Fall mottete in der Bevölkerung aber noch jahrelang weiter. Erst 1829, nach mehreren politischen Umstürzen, wurden Sutter und seine Anhänger offiziell vom Vorwurf des Landesverrats entlastet und rehabilitiert.»
Da fiel mir wieder ein, dass jemand aus Wald in diesem Handel eine zumindest umstrittene Rolle gespielt hatte. Rasch fand ich in der Dorfchronik die entsprechenden Passagen, die ich nun Adelina vorlas:
«Am 7. Februar 1784 wurde Wald zum Ort eines dramatischen Geschehens, bei dem Hauptmann Mathias Buff-Keller eine unrühmliche Rolle spielte. Der von der Innerrhoder Regierung gesuchte ehemalige Landammann Joseph Anton Sutter wurde nach Wald gelockt und später auf Oberegger Gebiet gefangen genommen. Im Jahre 1760 war der …»
Die folgenden Zeilen übersprang ich, weil sie die gerade gehörte Geschichte wiederholten. Dann wurde es interessant:
«Ein Strafgericht erklärte den ausser Landes Geflüchteten zum Rebell. Man setzte hundertfünfzig Gulden auf seinen Kopf, und jeder Landmann war beim Eide verpflichtet, den Flüchtling zu ergreifen und der Gerechtigkeit zuzuführen. In rechtlicher Hinsicht waren alle Mitstände verpflichtet, den Flüchtigen aufzugreifen. Doch die Ausserrhoder Obrigkeit drückte beide Augen zu, obwohl der nach Konstanz verbannte Politiker sich oft in Speicher, am Wohnort des Landammannes, aufhielt. So wird berichtet: ‹In der letzten Woche des Jenners 1784 unterhielt er mit lustigen Schwänken eine zahlreiche Gesellschaft beim ehemaligen Adler (Speicher), und seine muntere Laune in solchen Bedrängnissen erregte Verwunderung und Mitleiden.› Landammann Zuberbühler liess den Adlerwirt lediglich ermahnen, den Mann weg zu weisen, gleichzeitig aber beteuerte er gegenüber Appenzell, alles zu tun, um dieses Flüchtlings habhaft zu werden. Diese Haltung zeigt den Zwiespalt, in dem sich die Ausserrhoder Regierung befand. Einerseits hegte man Sympathien für Sutter, das Opfer eines Komplotts, anderseits durfte man diesen Rebellen nicht offen unterstützen, um die eigene Autorität nicht zu untergraben. Der Chronist Gabriel Rüsch schildert das weitere Geschehen wie folgt:
‹Endlich hatte seine Stunde geschlagen, zwei schwarze Verräter hatten sich gefunden und zu seiner Einlieferung gedungen. Mathias Buff, Kronenwirt und Gemeindshauptmann in Wald, verbreitete das Gerücht, er hätte Sutter wichtige Entdeckungen zu machen, wenn er nur seinen Aufenthaltsort kennte. Hierauf wurde die noch lebende, ihre Leichtgläubigkeit schmerzlich bereuende Tochter Sutters verleitet, diesem nach Konstanz zu schreiben, dass er doch schleunig zu Buff kommen möchte, welcher ihm wieder zu seinen Rechten verhelfen würde. Unbesorgt und guter Dinge ging der Getäuschte am 7. Februar 1784 über Trogen, wo er beim Löwen einkehrte, nach Wald zu seinem Verräter. Dieser bemerkte ihm mit süssen Worten, es sei jetzt der schicklichste Augenblick, sich wieder in Appenzell niederzulassen, der Landammann Fässler sei gestorben, Geiger kindisch, Statthalter Broger durch einen Schlag untüchtig geworden und die Gemeinde Oberegg über die Regierung erzürnt. Er beredete ihn, ungesäumt mit ihm dahin zu kommen, wo man Massregeln getroffen habe, ihm zum Rechte zu verhelfen. Sutter nahm diesen Vorschlag bereitwillig an und begab sich zu Sonderegger, einem Vorsteher (Ratsherr von Oberegg), Maurer von Profession,
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