Mord im Spiegel
unseligen Zauber, dem man nicht entfliehen kann. Man kann jemanden hassen und ihn trotzdem noch mögen.«
»Sie haben ihr nicht verraten, wer Sie sind?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das wäre das Letzte, was ich tun würde.«
»Haben Sie versucht, sie zu vergiften, Miss Bence?«
Ihre trübe Stimmung verflog. Sie sprang auf und lachte. »Was für eine dumme Frage! Aber vermutlich gehört das zu Ihren Pflichten als Kriminalbeamter. Nein, ich kann Ihnen versichern, dass ich sie nicht getötet habe.«
»Das habe ich Sie auch nicht gefragt, Miss Bence.«
Stirnrunzelnd blickte sie ihn an.
»Marina Gregg«, sagte er, »lebt ja noch.«
»Aber wie lange?«
»Was meinen Sie damit?«
»Halten Sie es nicht für möglich, Chefinspektor, dass es derjenige noch einmal versucht und beim nächsten Mal Erfolg haben könnte?«
»Es sind gewisse Vorsichtsmaßnahmen getroffen worden.«
»Oh, davon bin ich überzeugt. Der liebende Gatte wird sich um sie kümmern, damit ihr kein Härchen gekrümmt wird.«
Der Spott, der nicht zu überhören war, gab Craddock zu denken.
»Was haben Sie gemeint, als Sie sagten, das hätten Sie nicht gefragt?«, wollte sie plötzlich wissen.
»Ich fragte Sie, ob Sie sie töten wollten. Sie antworteten, dass Sie sie nicht umgebracht hätten. Das stimmt, aber jemand anders starb, jemand anders wurde getötet.«
»Sie wollen damit andeuten, dass ich zwar versuchte, Marina zu töten, doch irrtümlich diese Mrs Soundso umbrachte. Ich habe weder Marina noch die andere Frau vergiften wollen.«
»Wissen Sie, wer es getan haben könnte?«
»Ich weiß absolut gar nichts, Chefinspektor, davon können Sie überzeugt sein.«
»Eine Vermutung?«
»Ach, man denkt sich immer was.« Sie lächelte ihn an, ein ziemlich spöttisches Lächeln. »Es kommen so viele Leute infrage, nicht wahr, vielleicht dieser schwarzhaarige Roboter von einer Sekretärin, der elegante Hailey Preston, Angestellte, Hausmädchen, der Masseur, der Friseur, jemand aus dem Studio – ein Haufen Leute –, und nicht jeder muss das sein, wofür er sich ausgibt.«
Als er unwillkürlich eine Bewegung machte, schüttelte sie heftig den Kopf.
»Keine Angst, Chefinspektor«, sagte sie. »Ich mache nur Witze. Jemand lechzt nach Marinas Blut, aber ich habe keine Ahnung, wer es ist, wirklich nicht. Nicht die geringste Ahnung!«
16
I n der Aubrey Close sechzehn unterhielt sich die junge Mrs Baker mit ihrem Mann. Jim Baker, ein großer, gut aussehender blonder Riese setzte gerade ein Modellflugzeug zusammen.
»Nachbarn!«, sagte Cherry und schüttelte den Kopf, dass ihre schwarzen Locken wippten. »Nachbarn!«, wiederholte sie mit Verachtung. Vorsichtig nahm sie die Bratpfanne vom Herd und ließ den Inhalt auf zwei Teller gleiten, auf den einen mehr als auf den anderen. Den volleren stellte sie vor ihren Mann hin.
»Mixed Grill!«, verkündete sie.
Jim sah auf und schnupperte anerkennend.
»Was für eine Überraschung«, sagte er. »Ist heute etwa ein besonderer Tag? Etwa mein Geburtstag?«
»Ein Mann muss ordentlich essen«, erklärte Cherry.
Sie sah in ihrer dunkelrot-weiß gestreiften Schürze mit der kleinen Rüsche am Saum ganz reizend aus. Jim Baker schob die Flugzeugteile weg, um mehr Platz für den Teller zu machen. Er grinste und fragte: »Wer behauptet das?«
»Zum Beispiel Miss Marple«, antwortete Cherry. »Und wenn wir schon beim Thema sind«, fuhr sie fort und setzte sich ihrem Mann gegenüber, »so finde ich, dass sie auch ein wenig mehr vertragen könnte. Dieser alte Drache von einer Pflegerin kocht nichts als Kohlenhydrate, Aufläufe, Makkaroni mit Käse, wabbelige Puddings mit rosa Sauce. Und den ganzen Tag redet sie. Die redet sich noch ins Grab.«
»Na ja«, meinte ihr Mann nicht sehr interessiert, »das ist sicherlich Krankenkost.«
»Krankenkost!«, rief Cherry verächtlich. »Miss Marple ist nicht krank – nur alt. Und in alles mischt sie sich ein.«
»Wer, Miss Marple?«
»Nein. Diese Miss Knight. Schreibt mir vor, was ich zu tun habe. Sie erklärt mir sogar, wie man richtig kocht! Ich weiß besser darüber Bescheid als sie!«
»Du bist eine großartige Köchin!«, sagte Jim zärtlich.
»Ob jemand gut kocht«, meinte Cherry, »merkt man immer sofort. Man braucht nur zu probieren.«
Jim lachte. »Ich fang ja schon an. Aber warum sagte Miss Marple, dass ich was Gutes zu essen brauche? Fand sie, dass ich unterernährt aussah, als ich hinkam und das Abstellbrett im Bad festschraubte?«
Cherry
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