Mord im Spiegel
gehört, dass er schrecklich nervös ist – er zuckt schon zusammen, wenn man ihn nur ansieht.«
»Warum eigentlich… ich hätte nicht gedacht, dass es bei ihm so tief geht.«
»Könntest du den Tisch etwas frei machen?«, fragte Jim, den die Geschichten über seine Nachbarn nicht besonders interessierten. »Dann könnte ich die Teile besser ordnen.«
Cherry seufzte übertrieben.
»Wenn man in diesem Haus beachtet werden will, muss man ein Düsenflugzeug oder ein Raumschiff sein«, sagte sie empört. »Du und deine Modelle!«
Sie stellte das Geschirr auf ein Tablett und trug es zum Ausguss. Sie beschloss, nicht abzuwaschen, eine Arbeit, die sie jeden Tag so lange wie möglich hinauszögerte. Sie schlüpfte in eine Cordjacke und rief im Hinausgehen ihrem Mann über die Schulter zu:
»Ich will nur kurz zu Gladys und mir ein ›Vogue‹-Schnittmuster borgen.«
»In Ordnung.« Jim beugte sich tiefer über sein Modellflugzeug.
Cherry warf einen giftigen Blick auf die Tür des Nachbarhauses, bog kurz darauf um die Ecke in die Blenheim Close ein und blieb vor Nummer sechzehn stehen. Die Tür war nicht geschlossen. Cherry klopfte, trat in den Flur und rief:
»Ist Gladys da?«
»Sind Sie das, Cherry?« Mrs Dixon steckte den Kopf aus der Küchentür. »Sie ist oben in ihrem Zimmer und näht.«
»Dann geh ich mal hinauf.«
Cherry lief die Treppe hoch und zu einem kleinen Schlafzimmer. Gladys, ein pummeliges Mädchen mit einem klaren Gesicht, kniete auf dem Boden und steckte mit geröteten Wangen ein Schnittmuster auf einem Stück Stoff fest.
»Hallo, Cherry! Sieh mal, was für einen hübschen Stoff ich im Ausverkauf bei Harper in Much Benham gefunden habe! Ich nähe mir nochmal das gleiche Modell wie das aus Frottee.«
»Gute Idee«, sagte Cherry.
Gladys stand auf und keuchte etwas dabei. »Jetzt tut mir der Magen weh«, seufzte sie.
»So kurz nach dem Essen solltest du nicht gleich nähen«, meinte Cherry, »und dich nicht bücken wie eben.«
»Vermutlich sollte ich abnehmen«, sagte Gladys und setzte sich aufs Bett.
»Was gibt’s Neues im Studio?«, fragte Cherry, die nie genug davon hören konnte.
»Nicht viel. Es wird immer noch eine Menge geklatscht. Marina Gregg hat gestern wieder zu drehen angefangen – und einen schrecklichen Skandal gemacht.«
»Weshalb?«
»Der Kaffee schmeckte ihr nicht. Du weißt ja, dass sie am Vormittag alle Kaffee trinken. Sie nahm einen Schluck und behauptete, dass er nicht gut schmecke. Was natürlich Unsinn war. Ich hole ihn in einem Krug direkt aus der Kantine. Sie hat allerdings ihre eigene Tasse, eine sehr schöne, aber der Kaffee war der Gleiche. Deshalb musste mit dem alles in Ordnung sein, nicht wahr?«
»Bloß die Nerven«, sagte Cherry. »Was passierte dann?«
»Nichts. Mr Rudd beruhigte sie. Er kann das großartig. Er nahm ihr die Tasse ab und goss sie aus.«
»Das war nicht sehr klug«, sagte Cherry langsam.
»Warum – was meinst du damit?«
»Na, wenn irgendetwas mit ihm nicht stimmte, kann das jetzt niemand mehr feststellen.«
»Glaubst du wirklich, dass er nicht in Ordnung war?«, fragte Gladys besorgt.
»Nun«, Cherry zuckte mit den Achseln, »am Fest hat mit ihrem Cocktail auch was nicht gesummt, warum nicht auch mit dem Kaffee? Wenn einem beim ersten Mal etwas nicht gelingt, probiert man’s immer wieder.«
Gladys erschauerte. »Das gefällt mir nicht, Cherry«, sagte sie. »Jemand anders hat für sie büßen müssen, das steht fest.
Inzwischen hat sie auch Drohbriefe gekriegt, verstehst du, und dann die seltsame Geschichte mit der Büste.«
»Was für einer Büste?«
»Aus Marmor. In der Dekoration. Sie haben ein Zimmer aus einem österreichischen Schloss aufgebaut. Hat einen komischen Namen, ›Shotbrun‹, oder so ähnlich. Mit Gemälden und Porzellan und Marmorbüsten. Eine stand auf einer Konsole, offenbar nicht ganz fest. Jedenfalls als draußen ein Laster vorbeifuhr, fiel sie herunter – genau auf den Sessel, in dem Marina Gregg in ihrer großen Szene mit Graf Sowieso gesessen hätte. Sie ging in tausend Scherben. Zum Glück drehten sie gerade nicht. Mr Rudd sagte darüber kein Wort zu ihr. Er stellte einfach einen anderen Sessel hin, und als sie gestern fragte, warum der Sessel ausgewechselt worden sei, meinte er nur, der andere habe im Stil nicht gepasst. Aber es hat ihm gar nicht gefallen, das kann ich dir verraten.«
Die beiden Frauen sahen sich an.
»Wie aufregend«, sagte Cherry. »Und auch wieder nicht…«
»Ich glaube,
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