Mord im Spiegel
Schussfeld. Die Gäste kamen von unten, und ich konnte zu Marina Gregg schwenken, wenn sie sie begrüßte. So erzielt man verschiedene Bildwinkel, ohne sich von der Stelle rühren zu müssen.«
»Selbstverständlich weiß ich, dass Sie bereits befragt wurden, ob Sie etwas beobachtet haben. Das waren ganz allgemeine Fragen.«
»Haben Sie jetzt weniger allgemeine auf Lager?«
»Vielleicht. Konnten Sie die Gregg gut sehen – von dort, wo Sie standen?«
Sie nickte. »Sehr gut sogar.«
»Und Jason Rudd?«
»Den nicht immer. Er bewegte sich mehr. Er holte Drinks und so und machte die Gäste untereinander bekannt. Die Leute aus dem Ort mit den Filmgrößen und so weiter. Mrs Baddeley sah ich überhaupt nicht – «
»Mrs Badcock.«
»Entschuldigung. Mrs Badcock. Ich habe nicht beobachtet, wie sie das Gift trank. Ich wusste gar nicht, wer sie war.«
»Erinnern Sie sich an die Ankunft des Bürgermeisters?«
»O ja! Sehr genau sogar. Er trug seine Amtskette und seine Robe. Ich habe ihn fotografiert, wie er die Treppe heraufkam – eine Großaufnahme. Ein sehr markantes Profil. Und noch einmal, als er der Gregg die Hand gab.«
»Also könnten Sie die Zeit ungefähr berechnen. Mrs Badcock und ihr Mann gingen vor ihm.«
Sie schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, ich erinnere mich nicht.«
»Es ist nicht wichtig. Ich nehme an, dass Sie Marina Gregg genau sehen konnten und Ihre Kamera häufig auf sie richteten.«
»Die meiste Zeit sogar. Ich wartete immer auf einen günstigen Augenblick.«
»Kennen Sie Ardwyck Fenn – zumindest vom Sehen?«
»Ja. Ein großer Mann beim Fernsehen und beim Film.«
»Haben Sie ihn auch aufgenommen?«
»Ja. Zusammen mit der Brewster.«
»Das war nach dem Bürgermeister?«
Sie überlegte kurz und nickte. »Ja, ich glaube.«
»Ist Ihnen zu diesem Zeitpunkt aufgefallen, dass die Gregg sich nicht wohlfühlte? Lag irgendein seltsamer Ausdruck auf ihrem Gesicht?«
Margot Bence beugte sich vor, nahm eine Zigarette aus der Dose und zündete sie an. Sie antwortete nicht sofort. Craddock drängte sie nicht, sondern überlegte im Stillen, was sie wohl dachte.
Plötzlich fragte sie abrupt: »Warum wollen Sie das wissen?«
»Weil es sehr wichtig ist. Ich brauche eine zuverlässige Antwort.«
»Und mich halten Sie für zuverlässig?«
»Ich gebe zu, dass ich darauf baue. Es gehört zu Ihrem Beruf, die Leute zu beobachten, auf einen bestimmten Ausdruck, einen günstigen Moment zu warten.«
Sie nickte.
»Haben Sie irgend so etwas bemerkt?«
»Hat es noch jemand beobachtet?«
»Ja. Mehr als nur eine Person, aber alle schildern es anders.«
»Wie denn?«
»Jemand behauptete, sie sei nahe daran gewesen, in Ohnmacht zu fallen.«
Margot Bence schüttelte langsam den Kopf.
»Ein Zeuge erzählte, sie sei erregt gewesen.« Er schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort: »Und jemand schilderte ihr Gesicht als ›versteinert‹.«
»Versteinert!«, wiederholte Margot Bence nachdenklich.
»Ist das auch Ihre Meinung?«
»Ich weiß nicht recht. Vielleicht.«
»Es gibt noch eine – ziemlich blumige – Version«, sagte Craddock. »Es wurde sogar ein Gedicht von Tennyson zitiert. Der Spiegel bekam einen Sprung, und Lady of Shalott rief: ›Ich bin verdammt.‹ Oder so ähnlich.«
»Es war kein Spiegel da«, erklärte Margot Bence. »Aber wenn einer vorhanden gewesen wäre, wäre er vielleicht zersprungen.« Plötzlich stand sie auf. »Einen Augenblick«, sagte sie. »Ich habe etwas Besseres. Ich werde es Ihnen zeigen.«
Sie schob am anderen Ende des Raumes einen Vorhang zur Seite und verschwand dahinter. Er hörte sie etwas Unverständliches murmeln. Ein paar Augenblicke später tauchte sie wieder auf.
»Zum Teufel!«, schimpfte sie. »Man findet doch nie die Bilder, die man braucht. Trotzdem – jetzt habe ich es!«
Sie trat zu ihm und legte ein Hochglanzfoto in seine Hand. Craddock sah es sich an. Es war ein sehr gutes Bild von Marina Gregg. Ihre Hand lag in der Hand einer Frau, die vor ihr stand und der Kamera den Rücken zuwandte. Doch Marina Gregg blickte die Frau nicht an. Ihre Augen starrten nicht direkt in die Kamera, sondern etwas nach links. Was Craddock besonders interessierte, war der Umstand, dass ihr Gesicht kein Gefühl ausdrückte, weder Angst noch Schmerz. Die Frau auf dem Foto starrte auf etwas, das nur sie sah, und ihre Erregung war so groß, dass sie nicht mehr in der Lage war, sie auszudrücken. Craddock hatte einen ähnlichen Ausdruck einmal auf dem Gesicht eines
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