Mord im Spiegel
»Lassen Sie das Glas nur stehen! Danke. Und stören Sie mich bitte in der nächsten Stunde nicht.«
»Selbstverständlich nicht, meine Gute«, sagte Miss Knight. »Ich werde Mrs Baker sagen, dass sie leise sein soll.«
Geschäftig ging sie hinaus.
Der gut aussehende junge Amerikaner blickte sich verwirrt um. Die Straßennamen der Siedlung hatten ihn völlig durcheinandergebracht.
Höflich fragte er eine alte Dame mit weißem Haar und rosigen Wangen, die weit und breit das einzige menschliche Wesen zu sein schien:
»Entschuldigen Sie, bitte, Ma’am, könnten Sie mir sagen, wo die Blenheim Close ist?«
Die alte Dame musterte ihn schweigend. Als sich der junge Mann zu fragen begann, ob sie schwerhörig sei, und seine Frage lauter wiederholen wollte, antwortete sie:
»Hier rechts entlang, dann links, die Zweite rechts, weiter geradeaus. Welche Nummer suchen Sie?«
»Nummer sechzehn.« Er warf einen Blick auf einen kleinen Zettel. »Gladys Dixon.«
»Ja, das stimmt«, erwiderte die alte Dame. »Aber sie arbeitet im Filmstudio, in der Kantine. Dort können Sie sie treffen.«
»Sie ist heute Morgen nicht erschienen«, erklärte der junge Mann. »Ich wollte sie bitten, in ›Gossington Hall‹ auszuhelfen. Wir sind heute etwas knapp an Leuten.«
»Natürlich«, sagte die alte Dame. »Gestern Nacht ist der Butler erschossen worden, nicht wahr?«
Der junge Mann war über diese Antwort leicht verblüfft. »Offenbar sprechen sich hier in der Gegend Neuigkeiten schnell herum«, sagte er.
»Da haben Sie Recht«, erklärte die alte Dame. »Mr Rudds Sekretärin ist gestern auch gestorben, angeblich an irgendwelchen Krämpfen.« Sie schüttelte den Kopf. »Schrecklich, wirklich schrecklich! Wie wird das noch enden?«
20
E twas später am Tag suchte sich ein anderer Besucher den Weg nach der Blenheim Close sechzehn, Kriminalsergeant William Tiddler.
Auf sein energisches Klopfen an die glänzend gelb gestrichene Tür öffnete ihm ein Mädchen von ungefähr fünfzehn Jahren. Sie hatte langes strähniges helles Haar und trug enge schwarze Hosen und einen orangefarbenen Pullover.
»Wohnt hier eine Miss Gladys Dixon?«
»Sie möchten zu Gladys? Da haben Sie Pech. Sie ist nicht da.«
»Wo kann ich sie finden? Ist sie ausgegangen?«
»Nein, verreist. Auf Urlaub.«
»Wo ist sie denn hingefahren?«
»So fragt man Leute aus«, sagte das Mädchen.
Tiddler setzte sein gewinnendstes Lächeln auf. »Darf ich hineinkommen? Ist deine Mutter zuhause?«
»Sie ist in der Arbeit und kommt nicht vor halb acht. Aber sie weiß auch nicht mehr als ich. Gladys ist verreist.«
»Aha, ich verstehe. Wann ist sie weggefahren?«
»Heute Morgen. Ganz plötzlich. Angeblich kostenlos.«
»Vielleicht könntest du mir die Adresse geben.«
Das blonde Mädchen schüttelte den Kopf. »Ich habe keine«, sagte sie. »Gladys will sie uns schreiben, sobald sie sie weiß. Wahrscheinlich tut sie’s nicht«, fügte sie hinzu. »Vergangenen Sommer fuhr sie nach Newquay und hat uns nicht mal eine Postkarte geschickt. In der Beziehung ist sie ziemlich faul, und außerdem findet sie, dass man sie in Ruhe lassen soll.«
»Hat sie jemand eingeladen?«
»Muss wohl«, sagte das Mädchen. »Sie ist nämlich im Augenblick ziemlich knapp. Letzte Woche war sie im Ausverkauf.«
»Und du hast keine Ahnung, wer ihr die Reise geschenkt – oder sie bezahlt hat, damit sie mitfuhr?«
Das blonde Mädchen wurde plötzlich ärgerlich.
»Kommen Sie nur nicht auf falsche Gedanken! Gladys ist nicht so. Sie und ihr Freund fahren vielleicht im August zusammen weg, aber da ist nichts dahinter. Sie zahlt für sich. Kommen Sie nur nicht auf falsche Gedanken!«
Tiddler erwiderte freundlich, dass ihm derartige Gedanken fernlägen und er sie nur bitte, ihn zu verständigen, falls Gladys eine Postkarte mit ihrer Adresse schicken würde.
Er sammelte noch ein paar weitere Informationen und kehrte aufs Revier zurück. Im Filmstudio erfuhr er, dass Gladys Dixon angerufen und erklärt hatte, sie könne etwa eine Woche nicht kommen! Er erfuhr auch noch einige andere Dinge.
»Die Aufregung nimmt kein Ende«, sagte er zu Craddock. »Marina Gregg ist völlig hysterisch. Ihr Kaffee soll vergiftet gewesen sein. Sie behauptete, dass er bitter schmecken würde. Sie drehte durch. Ihr Mann nahm die Tasse und goss ihn weg und sagte, sie sollte nicht so empfindlich sein.«
»Und?«, fragte Craddock. Es war offensichtlich, dass das Wichtigste noch kam.
»Aber ein Gerücht will
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