Mord im Spiegel
Siphon und ein Glas heraus.
»Du überraschst mich immer wieder«, sagte Craddock. »Ich hätte nicht gedacht, dass du so was in deinem Eckschrank aufhebst. Bist du sicher, dass du nicht heimlich trinkst, Tante Jane?«
»Na, na!«, sagte Miss Marple leicht missbilligend. »Ich bin nie für völlige Abstinenz eingetreten. Es ist immer ratsam, einen stärkenden Schluck zur Hand zu haben, falls ein Unfall passiert oder jemand einen Schock bekommt. In solchen Augenblicken ist er von unschätzbarem Wert. Oder – natürlich – wenn man plötzlich Besuch von einem Gentleman erhält. Hier!«, sagte Miss Marple und reichte ihm ihr Stärkungsmittel nicht ohne einen gewissen Ausdruck des stillen Triumphes. »Du brauchst auch keine Späßchen mehr zu machen. Sitz einfach friedlich da und entspann dich!«
»In deiner Jugendzeit muss es großartige Frauen gegeben haben«, sagte Craddock.
»Ich bin überzeugt, mein lieber Junge, dass du den Typ der jungen Dame, auf den du anspielst, heute als höchst unzulängliche Gefährtin ansehen würdest. Damals brauchte man nicht intellektuell zu sein, nur wenige hatten ein Universitätsexamen oder irgendwelche akademischen Grade.«
»Gewisse Dinge sind akademischen Graden immer vorzuziehen«, erwiderte Craddock. »Dazu gehört, dass eine Frau weiß, wann ein Mann einen Whisky mit Soda braucht, und ihn ihm bringt.«
Miss Marple lächelte ihn gütig an. »Also«, sagte sie, »erzähl schon! Alles – oder so viel du erzählen darfst.«
»Ich bin überzeugt, du weißt genauso viel wie ich. Und höchstwahrscheinlich hast du einen Trumpf im Ärmel. Wie wär’s denn mit deinem Wachhund, deiner lieben Miss Knight? Könnte sie die Morde nicht begangen haben?«
»Warum, in aller Welt, hätte Miss Knight so was tun sollen?«, fragte Miss Marple überrascht.
»Weil sie am unglaubwürdigsten ist«, erwiderte Craddock. »Sehr oft, wenn du eine Lösung fandest, steckten solche Leute dahinter.«
»Ganz und gar nicht«, protestierte Miss Marple lebhaft. »Wieder und wieder habe ich gesagt – nicht nur zu dir, mein lieber Dermot –, dass oft die augenfälligste Person der Täter ist. Sehr häufig ist es auch die Frau oder der Mann!«
»Zielst du damit auf Jason Rudd?« Craddock schüttelte den Kopf. »Er betet sie an.«
»Ich habe ganz allgemein gesprochen«, antwortete Miss Marple mit Würde. »Zuerst war da Mrs Badcock, die allem Anschein nach ermordet worden war. Man fragte sich, wer der Täter sein könnte, und die natürlichste Antwort wäre gewesen: der Ehemann. So musste diese Möglichkeit geprüft werden. Dann stellten wir fest, dass Marina Gregg das eigentliche Opfer des Verbrechens sein sollte, und wieder mussten wir nach der Person suchen, die Marina Gregg am nächsten stand, und begannen mit dem Ehemann. Denn es gibt keinen Zweifel, dass Ehemänner sehr häufig hinter dem Mord an ihrer Frau stecken, obwohl es natürlich manchmal auch nur bei dem Wunsch bleibt und die Tat nicht ausgeführt wird. Aber ich stimme mit dir überein, mein lieber Junge, dass Jason Rudd seine Frau von ganzem Herzen liebt. Es könnte eine sehr geschickte Verstellung sein, obwohl ich das kaum glauben kann. Und vor allem kann ich kein Motiv bei ihm erkennen. Wenn er jemand anders heiraten möchte, dürfte es keine Schwierigkeiten geben. Sich scheiden zu lassen, ist Filmstars doch beinahe zur zweiten Natur geworden, wenn ich das mal so ausdrücken darf. Finanzielle Vorteile hätte er auch nicht. Er ist ja kein armer Mann. Er hat einen Beruf und ist sogar sehr erfolgreich, wie ich gelesen habe. So müssen wir uns woanders umsehen. Aber es ist sehr schwierig. Wirklich sehr schwierig.«
»Ja«, sagte Craddock, »es ist sogar noch schwieriger als sonst, weil dir die Welt des Films völlig neu ist. Du weißt über Skandale und Feindschaften und all das andere nicht Bescheid.«
»Ich weiß mehr darüber, als du ahnst«, antwortete Miss Marple. »Ich habe ein paar Nummern von ›Confidential‹, ›Film Life‹, ›Film Talk‹ und ›Film Topics‹ genau durchgelesen.«
Unwillkürlich musste Craddock herzlich lachen. »Ich gestehe«, sagte er, »dass ich es sehr komisch finde, wie du dasitzt und mir erzählst, was für literarische Produkte du gelesen hast.«
»Ich fand es sehr interessant«, sagte Miss Marple. »Sie sind nicht besonders gut geschrieben – das muss ich zugeben. Aber eigentlich ist es in gewisser Weise enttäuschend, dass fast alles noch so ist wie zu meiner Jugendzeit. Wie in ›Modern
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