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Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman

Titel: Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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stören, der ihn als Einzigen nicht begrüßt hatte und ihm nur hin und wieder finstere Blicke zuwarf.
    Rechmire saß wieder neben Hunero. Die junge Witwe trug ein Gewand aus Leinen, das beinahe durchsichtig war. Doch hatte sie es sich in einem solchen raffinierten Faltenwurf um den Leib geworfen, dass ihre verführerischen Formen zu ahnen, aber nicht wirklich zu sehen waren. Sie trug nur einen dünnen goldenen Armreif. Hunero hatte ihre Lippen hennarot angemalt, ihre Augenlider leuchteten malachitgrün und ihre feinen Brauen waren mit Kohlestiften in elegantem Schwung bis zu den Schläfen verlängert worden. Rechmire fragte sich, ob sie sich selbst vor einem Spiegel so geschminkt hatte oder ob ihr dabei jemand geholfen hatte. Baketamun, die beständig von einer kleinen Heerschar von Sklavinnen umschwärmt wurde, hätte sich nicht raffinierter herausputzen können.
    Sennodjem drängte sie alle zu einem frühen Aufbruch, damit sie sich noch einen guten Platz erkämpfen konnten. Doch trotz seiner Eile war es auf den Straßen Thebens schon voll, als sie aus der Herberge traten. Sie wandten sich nach links, bis sie die riesige Allee erreichten, die die Tempel von Karnak und Luxor miteinander verband. Sie schoben sich durch die Menge, vorbei an einer scheinbar unendlichen Reihe von widderköpfigen Sphingen, die in majestätischer Unbeweglichkeit über das Gewimmel der Sterblichen blickten.
    Rechmire hatte Huneros Hand genommen, um sie in dem Gedränge nicht zu verlieren. Er fühlte ein unbestimmtes Schuldgefühl gegenüber Baketamun, doch trotzdem genoss er es, den festen Griff ihrer Hand in der seinen zu spüren. Sie schoben sich an grell bemalten Verkaufsständen aus Palmstrünken, Bastmatten und alten Holzplanken vorbei, von denen aus fliegende Händler lautstark Behenöl, Honigkuchen, Weihrauch, Bier, Wein und allerlei Liebeszaubermittel anpriesen.
    Endlich gelangten sie vor das Große Tor des Amuntempels von Karnak. Es war so hoch wie fünfzehn Mann und wurde von zwei mächtigen Türmen bekrönt. Die Spitzen der dahinter aufragenden Obelisken glitzerten goldrot in der aufgehenden Sonne, die Farben an den mächtigen Reliefs der Außenwand glänzten, als wären sie erst in der Nacht zuvor frisch aufgetragen worden. An acht langen Flaggenmasten wehten weiße, grüne, blaue und rote Fahnen, so groß wie Schiffssegel – das Zeichen dafür, dass die Götter geruhten, Gäste der Sterblichen zu sein.
    Amun würde, wie jedes Jahr um diese Zeit, für elf Tage unter den Menschen weilen – so wie einst in der mythischen Vergangenheit, als der Herr der Götter sich noch nicht in eine Sphäre zurückgezogen hatte, die Sterblichen für immer unzugänglich blieb. An diesem seinem ersten Festtag würde er sich dem Volk zeigen und dann zusammen mit seiner Frau Mut und ihrem Sohn Chons gen Luxor ziehen, seinem südlichen Harem, wo sich die göttliche Familie der Ehrerbietung der Gläubigen erfreuen und sich dadurch erneuern würde.
    Nur jetzt standen die riesigen Bronzeflügel des großen Tores weit offen, nur heute durften sich gewöhnliche Untertanen wenigstens bis zum Ersten Hof des Amun-Tempels wagen, ohne durch den Zorn des Gottes zu verbrennen.
    Rechmire und die anderen schoben sich durch den Schatten des gewaltigen Pylons und standen schließlich am Rande eines mächtigen Pfeilers, zu Füßen eines doppelt mannshohen Reliefs, das Amun in all seiner Majestät verherrlichte. Sie kamen nicht mehr weiter, weil die Menge jetzt so groß geworden war, dass der ummauerte Hof wirkte wie ein künstlicher See, in dem statt Wasser ein Meer aus Köpfen stand.
    Von Ferne sah Rechmire Kaaper und einige andere Priester, deren kahle Köpfe schon vor Schweiß glänzten, obwohl Amuns Wagen gerade erst den östlichen Horizont durchbrochen hatte. Sie legten Wein in blau glasierten Krügen und frische Granatäpfel auf silbernen Schalen auf einen steinernen Altar, der geformt war wie ein Brotlaib auf einer Binsenmatte – der Hieroglyphe für »Opfer«. Jedermann wusste, dass der Hohepriester die Gaben an den Gott geheiligt hatte, indem er sie viermal mit seinem Zepter berührt hatte. Userhet selbst war jedoch noch nirgendwo zu sehen.
    Rechmire reckte den Hals, um mehr erkennen zu können. Gerade wollte er etwas zu Hunero sagen, als er erschrocken zusammenfuhr, weil unsichtbare Trompeten schmetterten. Dann traten die Musiker aus dem Halbdunkel der Säulenhalle vor dem Allerheiligsten ins Licht. Ihnen folgten muskulöse nubische Trommler, die einen

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