Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
gnädig – und sein Erster Diener auch!«, rief er. »Einmal dachte ich, dass er dich gleich fesseln und den Krokodilen vorwerfen lassen würde. Am Ende schien er mir jedoch ganz zufrieden zu sein mit dir.«
»Zufrieden?«, widersprach Rechmire ungläubig und zugleich erleichtert, dem Haus des Hohepriesters den Rücken zukehren zu können. Er hatte beschlossen, Kaaper nichts über den Steinsplitter mit Userhets Handschrift zu verraten.
»Der Hohepriester war kalt wie eine Statue aus Rosengranit. Mein Blut gefror vor Angst bei seinen Worten.«
»Er kann noch viel schlimmer sein«, erwiderte Kaaper, nun schon wieder gelassen. »Er verachtet Schmeichler, Heuchler – und Schreiber, die nie in der Armee gekämpft haben. Doch er respektiert Männer, die ehrlich sind und eine klare Meinung haben.«
Während der ganzen Zeit, der er den Priester durch die dunklen Gassen Thebens bis zu ihrer Herberge zurückgeleitete, fragte sich Rechmire, den Namen welches Pharaos Userhet wohl notiert hatte, wie dieser Steinsplitter mit seiner Handschrift überhaupt ins Tal der toten Pharaonen gelangen konnte – und was Kenherchepeschefs seltsame Drohung mit all dem zu tun haben mochte.
Im Innenhof von »Sobeks Rast« waren große Fackeln entzündet worden, in deren rötlichem Schein die meisten Gäste noch auf den Bänken im Freien saßen, um die kühlende Nachtbrise zu genießen. Kaaper und Rechmire gesellten sich zu den anderen Dorfbewohnern, von denen einige schon ziemlich betrunken waren. Der Priester bestellte für sie beide ein spätes Mahl aus gebratenem Ochsenfleisch, Brot und Kedebier vom Hafen.
Rechmire sah sich unauffällig um, konnte aber Sennodjem und seine Familie nirgendwo entdecken. Er fragte sich, ob der Zweite Schreiber sich nur zeitig hingelegt hatte – oder ob er irgendwo in Theben unterwegs war, um seine Drohung wahrzumachen.
Zufällig hatte er neben Hunero Platz gefunden. Er warf der jungen Witwe hin und wieder verstohlene Blicke zu. Hunero war die zärtliche Namensform für Hathor, der Goldenen, der Herrin der Trunkenheit, der Herrin des Papyrusdickichts, der Göttin von Liebe und Tod.
Ein passender Name, fand er, für jemanden, der den Ort der Wahrheit stärker liebt als jeden anderen Platz im Lande Kemet.
»Du darfst mich ruhig ansprechen«, sagte sie irgendwann und lächelte ihn an.
Rechmire fühlte sich ertappt und wurde rot. »Verzeih mir. Ich war in Gedanken versunken.«
»Nicht einmal am Abend vor dem höchsten Fest Amuns geht dir die Suche nach dem Mörder meines Mannes aus dem Kopf«, entgegnete sie. Dann blickte sie ihn sehr aufmerksam an. »Ich glaube«, fuhr sie so leise fort, dass niemand sonst am Tisch sie verstehen konnte, »dass du inzwischen mehr über Kenherchepeschef weißt als ich.«
Er schüttelte verwundert den Kopf. »Manchmal frage ich mich ernsthaft, ob ihr beiden in eurer Ehe überhaupt jemals ein Wort miteinander gewechselt habt«, gestand Rechmire.
Sie lachte kurz auf. »Kenherchepeschef hat ganz sicher mit jedem jungen Arbeiter und Zeichner am Ort der Wahrheit und wahrscheinlich auch mit den meisten Lastenträgern und Sklaven von Theben mehr gesprochen als mit mir«, flüsterte Hunero. Zum ersten Mal machte sie sich keine Mühe mehr, die Verachtung zu verbergen, die sie gegenüber dem Ersten Schreiber fühlte.
Rechmire blickte sie mit großen Augen an. Er dachte an das Liebesgedicht, das er in der Sammlung Kenherchepeschefs entdeckt hatte: Verliebte Worte, die an einen Mann gerichtet waren. Verlegen rutschte er auf der harten Bank hin und her.
»Dein Gatte …«, begann er.
»… verbrachte seine Zeit lieber mit Männern als mit mir«, vollendete sie. »Zumindest, wenn diese Männer jung und gut aussehend waren.«
»Warum hat er dich dann überhaupt geheiratet?«, platzte er heraus.
»Er wollte einen Acker haben, um sein Feld zu bestellen«, antwortete sie bitter.
Rechmire schloss die Augen und kam sich unsäglich dumm vor. Der Totenkult! Wo im Lande Kemet hätte er eine größere Bedeutung haben können als am Ort der Wahrheit? Die Nachkommen sorgten dafür, dass der Körper von den schakalköpfigen Priestern für die Ewigkeit vorbereitet wurde, nachdem das Ka und das Ba ihn verlassen hatten; sie achteten darauf, dass die Mumie mit den richtigen Zeremonien und mit Amuletten geschützt in angemessenen Särgen ins Grab geleitet wurde; sie kümmerten sich um die Priester und bezahlten die Klageweiber; sie richteten das Leichenmahl aus; sie schützten das Grab vor
Weitere Kostenlose Bücher