Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
Räubern und erneuerten seinen Schmuck, wenn Reliefs abbrachen oder Farben verblassten; sie sorgten mit ihren alljährlichen Opfern von Wein und Weihrauch, Gänsen und Granatäpfeln dafür, dass die Seele im Jenseits keine Not litt; nur ihre Erinnerung, vererbt von Generation auf Generation, garantierte, dass ein Toter nicht vergessen werden würde und seinen Platz im Reich des Westens beibehielt. Wer keinen Sohn, keine Tochter hatte, dessen Ba musste für alle Zeiten im Schattenreich zwischen Diesseits und Jenseits herumirren. Und Kenherchepeschef hatte keine Kinder.
Hunero blickte ihn aufmerksam an. »Kenherchepeschef hat mich geheiratet, damit ich ihm ein Kind gebäre«, sagte sie leise. »Und dieses Kind und ich, wir hätten unser ganzes Leben damit verbringen sollen, seinen Totenkult zu pflegen.« »Kenherchepeschef hat nie etwas anderes getan, als Gräber zu bauen«, entgegnete Rechmire. »Ein solcher Mann überlässt bei der Vorsorge für sein ewiges Leben nichts dem Zufall.«
Die junge Witwe lächelte triumphierend. »Kenherchepeschef hat mit allem gerechnet – nur nicht damit, dass er der einzige Bauer in Beiden Reichen ist, der sich ein Feld gekauft hat, das ihm wegrennen kann.«
Rechmire erwiderte nichts, sondern nahm einen tiefen Zug aus seinem Krug Kedebier vom Hafen. Kenherchepeschef war vielleicht vierzig Jahre älter gewesen als Hunero, doch er war kräftig. Seine Frau mochte sich ihm erfolgreich verweigert haben. Doch je länger sie sich weigerte, das Lager mit ihm zu teilen, desto mehr musste Kenherchepeschef die Angst haben, dass ihm die Zeit wegliefe. Irgendwann hätte er sich mit Gewalt geholt, was er anders nicht bekommen hatte. Und wie hätte sich Hunero einem gewalttätigen Mann entziehen können, einem Mann, der zudem noch der unumschränkte Herrscher ihres Heimatdorfes war?
Auf diese Frage gab es nur eine Antwort. Und Rechmire verbrachte den Rest des Abends mit der Überlegung, ob die junge Frau an seiner Seite, die nun mit ihm fröhlich über alle möglichen belanglosen Dinge plauderte, einen Dolch zu führen verstand und Skorpione schleudern konnte wie Sechmet, die löwenköpfige Göttin des Zorns.
13. BUCHROLLE
A MUN ZEIGT SICH DEN S TERBLICHEN
Jahr 6 des Merenptah, Achet, 15. Tag des Paophi, Großer Tempel des Amun von Karnak, Theben
Am nächsten Tag war Rechmire so früh auf den Beinen, dass er in einen Himmel blickte, der die Farbe von fahlem Glas hatte, weil Amuns Wagen noch nicht die letzte Pforte der Nacht verlassen hatte. Im Innenhof drängten sich die Gäste der Herberge und schwatzten aufgeregt durcheinander. Die Männer hatten ihre besten Leinenschurze angelegt und sich goldglitzernden Staub auf die Sandalen gestreut. Die reichen Händler aus Memphis, die ebenfalls in »Sobeks Rast« eingekehrt waren, trugen mit Achaten und Karneolen besetzte Brustplatten aus purem Gold, die bei jedem Atemzug leise klirrten. Die Männer vom Ort der Wahrheit und die meisten anderen Gäste der Herberge begnügten sich mit Ketten und Armreifen aus Kupfer oder dünnem, geflochtenen Silberdraht. Die Medjai hatten ihre Dolche poliert, dass sie wie Schmuckstücke glänzten. Die Frauen hatten sich in Gewänder aus feinstem Leinen gehüllt und lange Perücken aufgesetzt. Viele trugen schwer an Arm- und Fußreifen aus Gold und Silber, an Ringen, Ketten und Brustplatten, auf denen Achate, Amethyste, Türkis, Lapislazuli und Jaspis funkelten. Es duftete nach Behenöl, mit dem sich die Menschen die Haut eingerieben hatten, und nach den Salbkegeln, die in den Perücken der Frauen langsam vergingen, obwohl die Hitze des Tages noch lange nicht ihre volle Kraft entfaltet hatte.
Rechmire saß an dem Tisch, an dem die Einwohner von Set-Maat ihr Morgenmahl aus gekühltem Wasser, frischem Brot, Honigkuchen und Früchten vom Sykomorenbaum einnahmen. Er hatte in der Nacht kaum geschlafen, und als er doch einmal eingeschlummert war, hatten ihn wilde, verwirrende Träume geplagt. Jetzt hätte er gerne das Traumbuch des Chnumhotep entrollt, um zu lernen, was seine Nachtgesichter zu bedeuten hatten.
Und doch fühlte sich Rechmire plötzlich wohl. Er saß wie selbstverständlich im Kreis der Dorfbewohner, so, als wäre er am Ort der Wahrheit geboren. Die meisten waren inzwischen freundlich zu ihm und er ließ sich von ihrer Vorfreude anstecken. Rechmire kam sich auf eine beruhigende Art aufgehoben vor.
»Das ist Maat, die göttliche Ordnung«, dachte er zufrieden und ließ sich dabei auch nicht von Sennodjem
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