Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
des großen Tempeltores und weit über den Dächern Thebens hinweg das Heiligtum von Luxor aufragte wie ein farbenprächtig geschmückter Fels. Er stand starr in dem einachsigen Streitwagen, den linken Arm am Körper, mit der Rechten führte er die Zügel der Hengste.
Wedelträger liefen neben ihm her, die ihm mit großen Straußenfedern Luft zufächelten, und nubische Sklaven, die aufpassen mussten, dass die Hengste nicht unruhig wurden. Die Soldaten seiner Leibgarde nahmen zu beiden Seiten Aufstellung und schritten mit gezückten Waffen neben dem Streitwagen her.
Hinter dem Pharao folgten die Prinzen, die zu zweit in ebenfalls vergoldeten, wenn auch weniger prachtvollen Streitwagen den Tempel verließen. Dann kamen die Große Königliche Gemahlin, die Erste Nebenfrau, die anderen Nebenfrauen und Haremsdamen, die Prinzessinnen – alle wurden sie auf dunklen, mit prachtvollen Stoffen gepolsterten Sänften getragen. Nach dem jüngsten Mädchen mit königlichem Blut wurden die Sänften des Obersten der Geheimnisse des Morgengemachs, des Königlichen Wedelträgers, des Vorstehers der königlichen Ärzte und der anderen Großen vom Hof sichtbar, zu denen auch Mentuhotep und der Tschati des Unteren Reiches gehörten.
Erst als der letzte Würdenträger den Tempel verlassen hatte, durften sich die Menschen wieder erheben. Rechmires Knie schmerzten und auch Hunero verzog kurz das Gesicht zu einer Grimasse des Leidens, als er ihr auf die Beine half, doch trotzdem waren sie glücklich. Nie zuvor hatte Rechmire wie an diesem Tag das Gefühl gehabt, dass Amun tatsächlich unter den Sterblichen weilte und nicht nur entrückt und gleichgültig am Himmel stand. Und er fühlte sich geehrt, weil er die Gnade gehabt hatte, des Pharaos Gesicht erblicken zu dürfen.
Die Menschen strömten nach draußen auf die überfüllten Straßen der Stadt. Die Gnade Amuns, die Anwesenheit des Pharaos und nicht zuletzt auch das reichlich fließende Bier machten sie immer fröhlicher. Priester trugen die Barken der Mut und des heilenden Mondgottes Chons aus ihren Tempeln, damit sie sich ihrem göttlichen Gemahl und Vater anschlossen.
Merenptah ließ anhalten und reichte den Göttern mit eigener Hand zweihundert Jahre alten Wein und frischen Honigkuchen als Speise. Seine Untertanen jubelten.
Die Prozession setzte sich kurz darauf wieder in Bewegung und bog von der Allee der Sphingen ab zum Nil, wo an einem mit bunten Fahnen und Blattgold geschmückten Kai drei Schiffe warteten, von denen jedes einen Gott aufnahm. Die Schiffe waren aus dunklem Zedernholz, alle Beschläge bestanden aus purem Silber. Die weiß gewandeten Priester griffen eigenhändig zu den Rudern. Der Pharao und Userhet fuhren auf Amuns Barke mit, Merenptah selbst hielt das Steuerruder in der Hand.
Rechmire und Hunero drängten sich inmitten einer unüberschaubar großen Menge am Ufer und jubelten den Göttern und dem Pharao zu. Die Schiffe entfernten sich nur wenige Ellen vom Ufer. Sie blieben mit Treidelseilen verbunden, die den Gläubigen von Hand zu Hand gingen. Auch Rechmire und Hunero erwies Amun die Gnade, dass sie das Seil ergreifen und ihn für wenige Schritte stromauf ziehen durften.
Nach einer Stunde legten die Götterschiffe am Kai vor dem Luxor-Tempel an. Hier war Amun einst geboren worden, von hier aus hatte er die Welt erschaffen, hier würde er sich, wie jedes Jahr, erneuern, um über die Maat zu wachen und dem Lande Kemet für alle Zeiten Glück und Bestand zu sichern. Auf riesigen Opfertischen erhoben sich Berge von Granatäpfeln und Datteln, von Sykomorenfrüchten und Melonen, von Lauch und Zwiebeln. Tausende von gebratenen Gänsen und Enten lagen in großen irdenen Schüsseln, an großen Feuern wurden ganze Rinder am Spieß gegrillt. Später würden der Pharao und Userhet mit dem ersten Rinderschenkel, mit Gänsebrust und den süßesten Früchten die Götter speisen, den großen Rest würden Tempelsklaven an das Volk verteilen.
Amuns Wagen stand inzwischen hoch am Himmel. In den Gassen Thebens und auf dem freien Platz vor dem Tempel von Luxor wurde es beinahe unerträglich heiß, doch die Menschen, berauscht von der göttlichen Gegenwart und befeuert vom Bier, sangen ohne Unterlass Hymnen auf Amun und den Pharao.
Priesterinnen der Hathor standen am Ufer, um dem König der Götter die Ehre zu erweisen. Sie waren nackt und führten mit kreisenden Hüften anzügliche Liebestänze auf. Kräftige Soldaten aus den Regimentern vom Delta und von Syrien, aus der
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