Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
Kunstfertigkeit oder deren Witz ich bewundere, aber niemand, den ich mir zum Gemahl wünschen würde. Ich werde den Ort der Wahrheit verlassen, sobald Kenherchepeschef nach den siebzig Tagen aus den Händen der Anubisdiener wieder hierher zurückkehrt, um in seinem Haus der Ewigkeit für immer zu ruhen.«
Rechmire nickte und stand auf. Er fragte sich, ob Huneros Liebe zu diesem Ort wirklich so groß war oder ob sie nur eine besonders geschickte Schauspielerin war, die sein Misstrauen zerstreuen wollte, indem sie beteuerte, nur durch die Kaltherzigkeit des Sennodjem zum Gehen gezwungen zu sein.
Als er wieder in den Vorraum kam, trat er noch einmal nahe an die Stele und verbeugte sich vor dem Bildnis des Gottes.
»O großer Thot, auch ich würde dir alle meine Schriften und sogar das Traumbuch des Chnumhotep opfern, wenn du mich nur erleuchten würdest und mir hilfst, den Frevler zu finden«, murmelte er. Rechmire hatte die Worte kaum gehaucht, weil er nicht wollte, dass Hunero sein Gebet mithörte.
Doch die junge Witwe musste in den Jahren am stillen Ort der Wahrheit ihr Gehör ungewöhnlich gut geübt haben, denn sie hatte jedes seiner Worte verstanden. »Ich schenke dir jede Schriftrolle, die du haben möchtest, damit du sie Thot darbringen kannst«, sagte sie freundlich. »Nur das Traumbuch des Chnumhotep kann ich dir nicht geben – es ist verschwunden.«
Rechmire starrte sie einige Augenblicke lang verständnislos an, dann lachte er kurz. »Dieses Traumbuch ist schon ziemlich lange verschwunden«, entgegnete er. »Genau genommen viele hundert Jahre, falls es denn jemals existiert hat, was manche unserer Weisen bezweifeln.«
»Natürlich existiert es«, antwortete die junge Witwe gelassen.
»Mein verstorbener Gemahl hat ein Exemplar davon besessen.«
Rechmire fühlte sich, als habe ihm jemand in den Magen geschlagen. Keuchend lehnte er sich gegen die Stele. »Kenherchepeschef besaß das Traumbuch des Chnumhotep?«, fragte er mit schwacher Stimme.
Hunero sah ihn besorgt an. Sie trat näher und legte ihre Rechte sanft auf seine. »Es muss ein magisches Buch sein«, flüsterte sie. »Ich kann nicht lesen und mein Mann hat mir nie gesagt, was darin steht. Doch auch er war«, sie suchte nach dem richtigen Wort, »tief aufgewühlt, als er es vor kurzem nach Hause brachte.«
»Vor kurzem?«, japste Rechmire, der glaubte, sich verhört zu haben.
Hunero deutete zurück in den Hauptraum auf eine Kiste, die am Kopfende des Divans stand. Sie war klein, aber die edelste Arbeit im Haus: Ein Kasten aus schwarzem Ebenholz mit eingelegten elfenbeinernen Bildnissen des Thot und Beschlägen aus massivem Gold. Die Kiste stand offen und Rechmire sah, dass sie nur einen einzigen Tonzylinder enthielt, wie man ihn zur Aufbewahrung von Papyri benutzte. Der Zylinder war leer.
»Kenherchepeschef brachte vor zwölf oder dreizehn Tagen eine Schriftrolle aus Theben mit. Er wollte mir nicht sagen, woher er sie hatte, doch er nannte mir den Namen der Schrift: das Traumbuch des Chnumhotep. Er behauptete, der Papyrus sei mehr wert als alles Gold des Pharaos, und er wagte kaum, ihn zu entrollen. Ich konnte nur sehen, dass er sehr alt war. Mein Mann sagte, dass er vielleicht jetzt endlich einen Weg finden würde, um die bösen Dämonen seiner Albträume zu besiegen.
Er las die ganze Nacht in ihm. Und am nächsten Morgen schien er«, sie zögerte lange, »nun, er schien irgendwie enttäuscht zu sein«, fuhr sie fort. Dann deutete sie wieder auf die wertvolle Kiste. »Er verstaute den Papyrus am Kopfende seines Divans, rührte ihn nicht mehr an und sprach auch mit mir kein Wort mehr darüber. Ich fing an, die Sache zu vergessen, denn Kenherchepeschef war immer erregt gewesen, wenn er eine neue Schriftrolle in sein Haus gebracht hatte. Erst am Morgen nach seiner letzten Nacht fiel mir auf, dass die Kiste offen stand und leer war. Vielleicht hat er das Traumbuch mitgenommen.«
»Niemand hat dieses Buch oder sonst irgendeine große Schriftrolle bei ihm gefunden«, flüsterte Rechmire.
Er wollte sie nach weiteren Einzelheiten dieses geheimnisvollen Traumbuches fragen, doch er stellte schnell enttäuscht fest, dass Hunero ihm nicht mehr sagen konnte. Also verabschiedete er sich schließlich von ihr und trat wie betäubt auf die Straße hinaus.
Das Licht des Nachmittags war warm und rot. Auf vielen Hausdächern standen Frauen und halbwüchsige Mädchen, die nasse Leinentücher zum Trocknen und Bleichen auf den sorgfältig gefegten Boden in
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